17.30 Uhr, Mahnmal für die Opfer des Faschismus in der Grünanlage am Hansaring (Hansaplatz) in Köln
Veranstalter:innen:
Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln – Wolgograd e.V.: https://wolgograd.de/8-mai-2024-feierstunde-anlaesslich-des-79-jahrestages-der-befreiung-vom-faschismus/
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund Der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Köln e.V.: https://koeln.vvn-bda.de/2024/04/25/8-mai-2024-79-jahrestag-der-befreiung-vom-faschismus/
Kölner Friedensforum: https://koelner-friedensforum.org/8-mai-2024-79-jahrestag-der-befreiung-vom-faschismus-gedenktag-feiertag-aufruf-zum-handeln/
Flyer: https://wolgograd.de/wp-content/uploads/2024/04/Flyer0805.pdf
Rede von Eva Aras, Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln – Wolgograd e.V.
Die Blockade Leningrads
(Zitatanfang)
Guten Tag, liebe Friedensfreundinnen und -freunde!
Ich freue mich, euch heute an diesem wichtigen Tag hier begrüßen zu dürfen!
Auch wenn ich im Namen des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft mit Wolgograd spreche, halte ich es heute für besonders wichtig, des Endes der Leningrader Blockade am 27. Januar 1944 – also vor 80 Jahren – zu gedenken.
Denn leider ist es ein Ereignis, was in Deutschland kaum bekannt, geschweige denn aufgearbeitet ist.
Dabei handelt es sich um eines der eklatantesten Kriegsverbrechen des 2. Weltkriegs, auf das ich jetzt näher eingehen möchte:
Leningrad wurde vom 8.9.1941 bis zum 27.1.1944 – also 872 Tage, ca. 28 Monate lang- eingekesselt.
Es gab 1,1 Millionen zivile Opfer, 90% davon sind verhungert.
Nachdem relativ schnell klar wurde, dass die deutsche Wehrmacht Leningrad nicht einnehmen konnte, entschied man sich für eine systematische Aushungerung der Stadt. Hitlers Ziel war es, den sogenannten „Hort des jüdischen Bolschewismus“ zu vernichten.
In der folgenden Beschreibung stütze ich mich hauptsächlich auf die Rede von Daniil Granin, die er am 27. Januar 2014 im Deutschen Bundestag gehalten hat. Er war ein russischer Schriftsteller, der als junger Soldat die Blockade erlebt hat. Hier seine Worte:
„Es wurden gezielte Luftangriffe auf das zentrale Lebensmittellager geflogen und alles vernichtet, so dass es kaum noch Vorräte gab, weder Lebensmittel noch Brennstowa („Ветер войны», „Kriegswind“, 28.9.1941). Sie erlebte die Blockade und wurde später nach Taschkent evakuiert.
(Zitatende)
Rede von Andrii Konovalov, Kriegsdienstentzieher (Kropywnyzkyj, ehem. Kirowograd / Ukraine), Student an der Universität Köln
(Zitatanfang)
Ich grüße euch und danke Allen, die sich Zeit genommen haben, hier zu sein, um der Opfer des Faschismus zu gedenken!
In meiner Familie haben diese Tage immer einen besonderen Sinn gehabt. Ein Teil von meiner Familie stammt aus Leningrad, heute St. Petersburg. Der andere Teil der Familie floh teilweise vor den Nazis oder lernte sich an der Front kennen und kämpfte zusammen gegen die Wehrmacht. Das Feiern vom Tag des Sieges am 9. Mai begleitet meine Kindheitserinnerungen – zunächst mit meiner Familie während der Demonstrationen und dann im Rahmen von Schulveranstaltungen. Und das galt für die meisten ukrainischen Familien. Laut einer Studie des Internationalen Soziologie-Instituts von Kiew hielten 2010 58 % aller Ukrainer den Tag des Sieges für einen der wichtigsten Feiertage. Im Jahr 2023 verkündete aber die ukrainische Presse stolz, dass nur noch 13 % der Anhänger des Feiertags übriggeblieben waren.
Ich halte solche Delegitimierung des Gedenkens für pervers. Mir scheint es offensichtlich, dass das Feiern von Ereignissen wie dem Jahrestag des Sieges über den Faschismus zulässig und richtig ist, auch wenn diese Ereignisse von „bösen“ Russen gefeiert werden.
Aber deshalb halte ich heute Ihre Anwesenheit hier nicht für selbstverständlich, obwohl ich früher hätte anders denken können.
Als ich in der Ukraine aufwuchs, erschienen mir viele Dinge selbstverständlich und unbestritten. Mir wurde beigebracht, dass jeder Mensch den gleichen Respekt und die gleichen Rechte verdient, dass es falsch ist, Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Gebrauchssprache zu unterteilen, und dass man solche Versuche tadeln sollte. Mir wurde auch beigebracht, dass die Schwachen und Wehrlosen geschützt werden sollten und nicht umgekehrt.
Leider wurde mein Aufwachsen von einer Relativierung all dieser grundlegenden Wahrheiten begleitet. Ich habe miterlebt, wie Politiker in ihrem Streben nach höherem Rating und Finanzmitteln die Gesellschaft in Gruppen aufspalteten, diese gegen einander ausspielten und deren Interessen dreist über die Interessen der Allgemeinheit stellten. Ich habe miterlebt, wie den Gruppen jeder Grund geboten wurde, sich als ungerecht behandelt zu fühlen und wie Ungerechtigkeit, Gewalt gegen die Anderen als der einzig mögliche und daher notwendige Weg dargestellt wird, um „persönliche“ Gerechtigkeit zu erreichen. Jetzt wird mir klar, dass es solche Kräfte und Einflüsse in jeder Gemeinschaft immer gegeben hat. Genau deshalb ist es wichtig, solche scheinbar offensichtlichen Dinge zu verstehen und zu wiederholen.
Ungerechtigkeiten können keine weiteren Ungerechtigkeiten rechtfertigen. Das Verletzen von Rechten darf nicht als Rechtfertigung für weitere Rechtsverletzungen dienen. Ebenso darf Gewalt nicht als Vorwand für weitere Gewalt genutzt werden.
Nur ein starker Protest gegen die Anwendung von Gewalt als politisches Mittel und für die Entmachtung der Kriegsgewinnler wird uns dem Frieden näherbringen. Nur ein Protest gegen die Spaltung der Menschen in Gruppen kann uns helfen, diesen Frieden zu bewahren.
Wir sollten deutlich machen, dass die Bedrohung für unsere Zukunft heute nicht von einer bestimmten Nationalität, Kultur oder Religion ausgeht. Die Bedrohung für unsere Zukunft liegt allein in der Politik der Spaltung und der ungeheuerlichen sozialen Ungleichheit und Machtkonzentration in den Händen von wirtschaftlich Mächtigen. Die einzige Möglichkeit, diese Bedrohung zu bekämpfen, besteht darin, die Politik der Spaltung abzulehnen, die gegnerische Seite besser zu verstehen, mit ihr emphatisch zu sein und sich international solidarisch für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen.
Ich wünsche mir, dass heute aus den Verbrechen des Faschismus die universalistische Konsequenz für alle Menschen und Völker gezogen wird: Niemand darf diskriminiert werden. Die Würde und die Rechte aller Menschen müssen realisiert und alle Kriege beendet werden! (Applaus)
Was wichtig ist – das antifaschistische Gedenken darf nicht für nationalistische Motive missbraucht werden. Nur dann werden wir nicht mehr Gefahr laufen, uns im Streben nach politischen Gewinnen zu verlieren, und in der Lage sein, Recht und Unrecht zu unterscheiden. Und nur, wenn wir lernen, alle Ungerechtigkeiten und ihre Nutznießer zu verurteilen, können wir unsere Zukunft und den Weg dorthin klar erkennen. Deswegen rufe ich Alle dazu auf, den Tag der Befreiung vom Faschismus zu feiern, die Verfolgung der ukrainischen Kriegsdienstverweigerer zu verurteilen und sich gegen die Gewalt in all ihren möglichen Formen einzusetzen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! (Applaus)
(Zitatende)
Rede von Jewgenij Arefiev, Kriegsdienstentzieher (Rjasan, Russland), Sprecher der DFG-VK Münster
(Zitatanfang)
Guten Tag!
Ich bin Sprecher der Gruppe Münster der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner:innen.
8. Mai – Tag der Befreiung vom Faschismus und der Beendigung des 2. Weltkrieges
Ich unterstütze die Forderung von Esther Bejarano – der 8. Mai muss ein gesetzlicher Feiertag werden! Für die Sowjetunion war der 9. Mai Tag des Sieges. Die Sowjetunion hatte im 2. Weltkrieg 27 Millionen Tote zu beklagen. Deswegen heißt es im bekannten Lied auf Russisch „Den‘ pobedy so slezami na glazach. – Tag des Sieges mit den Tränen in den Augen“. Fast jede Familie ist betroffen. Wir sind bis heute dadurch traumatisiert.
Die Sowjetunion war ein Vielvölkerstaat, eine Union von 15 Republiken, die gemäß der Verfassung aus dieser Union austreten durften. Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken hat den höchsten Blutzoll für die Befreiung vom Faschismus gezahlt. Die Flagge der Sowjetunion ist keine Nationalflagge, darf nicht wie jetzt in Berlin verboten werden, ist als geschichtsträchtiges Symbol der Befreiung vom Faschismus (Applaus) zu respektieren, wehte ab dem 2. Mai 1945 über dem Reichstag. Die Geschichte umschreiben zu wollen ist schlicht und ergreifend Revanchismus!
Die Toten der Kriege rufen nicht zur Rache auf wie die revanchistischen Kriegerdenkmäler es darstellen! Die Kriegstoi, der das Roman „Krieg und Frieden“ über den russisch-französischen Krieg von 1812 geschrieben hat.
Der Nationalismus geht Hand in Hand mit dem Militarismus. Die so genannte Alternative für Deutschland kann uns nicht täuschen. Sie ist rechts und unterstützt rechte Regierungen. Sie ist ganz bestimmt keine Friedenspartei und ist auf dem Holzweg. Denn – wer Hass und Hetze sät, erntet am Ende Krieg und Tod. Wehret den Anfängen! Verwirklicht die Demokratie!
Die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen lehrt uns, dass die zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland nicht abgebrochen werden darf, weil sie nachhaltig dem Frieden dient. Der Schüler:innen- und Studierendenaustausch hat eine friedliche Zukunft. Machen wir den Frieden zum Ernstfall!(Applaus)
Die Russen und die Ukrainer liegen zusammen in den Massengräbern des 1. und des 2. Weltkrieges. So auch über 60.000 sowjetische Kriegsgefangene im Stammlager (Stalag) 326 (VI K) in Stukenbrock-Senne bei Bielefeld. Dort darf nun endlich doch die bis heute in Deutschland fehlende nationale Gedenkstätte für sowjetische Kriegsgefangene, eine der größten Opfergruppen des Faschismus entstehen.
War die über 2-jährige Blockade Leningrads ein Genozid? – Ja! Er muss von Deutschland anerkannt werden, um das Leid und die Würde der Opfer anzuerkennen und dauerhafte Versöhnung zu ermöglichen.
Es muss heute Alles dafür getan werden, den Krieg in der Ukraine zu beenden, Nationalismus und Militarismus überall zu bekämpfen. Frieden muss verhandelt werden! (Applaus)
Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! (Applaus)
Keinen Millimeter den Nazis! (Applaus)
Hoch die internationale Solidarität! (Applaus)
Bild: Jewgenij Arefiev am 8. Mai 2024 in Köln