(gehalten vor dem Schloss der Westfälischen Uni Münster, die von manchen (können wir sie abwählen?) immer noch gerne nach dem Kriegsverbrecher und Antisemiten Kaiser Wilhelm II. benannt wird – Kommentar von Jewgenij Arefiev)
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
vielen Dank für die Einladung als Gewerkschafterin beim diesjährigen Ostermarsch ein paar Worte an euch richten zu dürfen.
Über 61 Jahre lang waren und sind immer viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aktiv dabei, allen voran der Freund und Kollege Willi Hoffmeister aus Dortmund, der selbst im hohen Alter den Ostermarsch Rhein-Ruhr immer noch mit organisiert und in der IG Metall seit Jahrzehnten unermüdlich für die Rüstungskonversion kämpft.
Dennoch ist leider festzustellen, dass unsere Gruppe strukturell nicht besonders stark vertreten ist. Dabei sind doch die Gewerkschaften einst angetreten um die Arbeits- und Lebensbedingungen der abhängig Beschäftigten zu verbessern. Und für gute Lebensbedingungen ist das friedliche Zusammenleben auf dieser Erde von zentraler Bedeutung. Wissend, dass Frieden viel mehr ist, als die Abwesenheit von Krieg und jeder Krieg ein Verbrechen an der Menschheit ist. Ob auch alle, die mit der Kriegsmaschinerie ihr Geld verdienen somit als Verbrecher zu bezeichnen seien, mag jede und jeder für sich selbst entscheiden.
Um allerdings keineswegs ein Verbrecher zu gelten oder Verbrechen zu unterstützen, wäre es demnach folgerichtig für ein Ende der Produktion von Rüstungsgütern, Atom- und Kleinwaffen zu sorgen. Deutschland könnte hier mit gutem Beispiel vorrangehen. Abrüsten statt Aufrüsten, das ist nach wie vor das Gebot der Stunde!
Mir ist klar, dass die Entscheidung zur Rüstungskonversion unweigerlich zur Vernichtung von Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie führen wird. Das ist natürlich für die betroffenen Kolleginnen und Kollegen ein Schicksalsschlag. Hängt doch ihre persönliche Lebensplanung, die Existenz ihrer Familie, die Entwicklung des Dorfes, der Stadt und vielfach sogar der ganzen Region davon ab. Hier gilt es die Betroffenen nicht sich selbst zu überlassen, sie aktiv zu unterstützen und für Perspektiven zu sorgen.
Aber das Arbeitsplatzargument wiegt anscheinend unterschiedlich schwer, denn über die Arbeitsplätze, die der Monopolisierung, Rationalisierung und Digitalisierung zum Opfer gefallen sind, wird wenig gesprochen oder es als unausweichlich hingenommen.
Der Abschied vom Steinkohlenbergbau z.B. wurde zwar mit großem Bedauern und viel Gefühlsduselei betrieben, zeigt aber auch, wenn der politische Wille da ist, werden solche Entscheidungen getroffen, auch wenn es Arbeitsplätze kostet. Deshalb leuchtet mir nicht ein, dass das Arbeitsplatzargument in der Rüstungsindustrie mehr wiegen soll, zumal wir hier im direkten Zusammenhang gerade einmal über 20.000 Arbeitsplätze reden. Für diese Kolleginnen und Kollegen finden wir sicherlich vor dem Hintergrund des proklamierten Fachkräftemangels eine neue und viel sinnvollere Beschäftigung.
Auch als in Bochum insgesamt über 20.000 Opelaner*innen über viele Jahre ihre Arbeitsplätze, ihre Existenzen und ihren Kampfgeist verloren haben, war kaum Wehklagen zu hören. Auch am Ende letzten Jahres als Armstrong in Münster die Produktion eingestellt hat, war es ziemlich still.
Das Arbeitsplatzargument hinkt also gewaltig !!
Was in dem Zusammenhang viel lauter, ehrlicher und beto ist damit aber immer noch nicht erreicht. Was könnte man mit diesem Geld alles Sinnvolles anrichten!?
Die 29 Nato, die provozierend direkt an der russischen Grenze mit ihren Manövern ihre Muskeln spielen lässt.
Der Kampf um Ressourcen, Machterlangung, Machterhalt und vor allem das Streben des Kapitals sich zu vermehren, das sind die Triebfedern, die die Rüstungsindustrie als Gelddruckmaschine so attraktiv macht. Jede kriegerische Auseinandersetzung erneuert die Nachfrage nach mehr und besseren Waffen und am Wiederaufbau lässt sich dann auch noch Geld verdienen, was beim nächsten Anlass wieder zerstört wird. Ein widerlicher und menschenverachtender Kreislauf.
Aktuell verfügt ein knappes 1% der erwachsenen Weltbevölkerung, das sind 52 Mio Menschen über fast die Hälfte des globalen Vermögens. Die Klimakrise wird diese Spaltung noch vertiefen. Wenn wir den Frieden wollen, dürfen wir weder das Sterben der Menschen in Kriegen oder im Mittelmeer sowie das Sterben unseres Planeten länger hinnehmen, noch die Spaltung der Welt in arm und reich. Statt immer höhere Rüstungsausgaben, brauchen wir mehr Geld für Klimaschutz, Sozialleistungen und Investitionen in die Daseinsvorsorge.
Die aktuelle weltweite Pandemie verschärft diese Spaltung zusätzlich. Die einen verdienen an dem Coronavirus direkt oder durch Finanzspekulationsgeschäfte, während die anderen durch Kurzarbeit oder Erwerbslosigkeit, Angst um ihre Zukunft haben. Die Pflegekräfte und Verkäufer*innen wurden zu Beginn der Krise noch voller Dankbarkeit beklatscht. Doch als es darum ging, diese Dankbarkeit in mehr Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen auszudrücken, wurde da eher die kalte Schulter gezeigt. Hier haben sich gerade die kirchlichen Arbeitgeber zum Vasallen der privaten investorgesteuerten Pflegeindustrie gemacht, indem sie den neuen Tarifvertrag nicht anerkannten. Die Privaten können sich nun genüsslich im Hintergrund zurücklehnen.
Wieder andere Beschäftigte sind mehrfach belastet, müssen sie parallel zum Homeoffice das Homeschooling übernehmen. Hier sind es vor allem wieder die Frauen, die in einer „Rolle rückwärts“ ihre Erwerbsarbeit reduzieren, um die unbezahlte Arbeit in der Haushalts-, Pflege- und Bildungsarbeit zu übernehmen.
Auch wenn richtigerweise unsere Regierung versucht durch vielseitige finanzielle Unterstützungen vielen Ängsten den Druck zu nehmen, wissen wir doch auch, wer am Ende die Zeche bezahlen muss. Wenn in 2025 die ersten Zinsen fällig werden, wird es den Resten unseres Sozialstaates an den Kragen gehen. Rente mit 70, private Krankenversicherungen werden da wohl nur der Anfang der Szenarien sein, die sicherlich bereits in den Denkfabriken der Chicago Boys durchgespielt werden. Deren Lobbyisten stehen schon z.B. bei unseren Volksvertretern Schlange um ein Nachfolgemodell der gescheiterten Riesterrente zu etablieren.
Wenn man vielen Umfragen trauen soll, empfinden viele Menschen unsere Gesellschaft als ungerecht und wünschen sich in einer friedlichen gerechten Gesellschaft zu leben. Doch wir befinden uns auf einem entgegen gesetzten Kurs in der seit über 30 Jahren anhaltenden und seit 20 Jahren verschärften neoliberalen Politik der Privatisierung, Deregulierung, Umverteilung, Ökonomisierung aller Lebensbereiche und des Abbaus des Sozialstaates. Eine produzierte immer stärkere Ellenbogenmentalität, die Zunahme befristeter, schlecht bezahlter und unsicherer Jobs, Reallohnverluste, Renten, die zunehmend Armut bedeuten, Kumpanei der Regierenden mit der Großindustrie, Explosion der Mieten in den Metropolen, Weigerung von Regierung und Industrie die Klimakrise wirklich zu bekämpfen, Zweiklassenmedizin, Pflegenotstand, Bildungsnotstand und eine Sparpolitik zulasten der Infrastruktur und öffentlicher Aufgaben. All dies führt bei den Menschen zunehmend zu Ängsten vor Abstieg und Armut, Verunsicherung, Ungerechtigkeitsempfinden, Wut, Ohnmacht und zu gesellschaftlicher Spaltung. Dieses Gift, das die Faschisten, Antisemiten und Rassisten nährt, gilt es zu bekämpfen und zu beseitigen.
Was wir brauchen ist eine wirklich friedliche und gerechte Gesellschaft für Alle!
Ich möchte in einem Land leben, das keine Waffen produziert und auch kein Geld dafür ausgibt. Ein Land, in dem junge Menschen zu sozialen Wesen erzogen und nicht als mörderischen Handlanger für politische geostrategische Ziele missbraucht werden. Ein Land in dem alle ein Ein- und ein Auskommen haben. Dafür brauchen wir aber dringend einen entsprechenden Politikwechsel. Geld für alles wäre genug da: Abkehr von der Schuldenbremse, keine Militärausgaben, eine Finanztransaktionssteuer, sowie mehr Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit und konsequente Verfolgung von Steuerflucht – es mangelt eigentlich nicht an Geld, sondern es mangelt am politischen Willen für eine gerechte Gesellschaft. Doch für diesen Willen gilt es zu kämpfen. Der Anfang kann im September gewählt werden und ich wünsche mir zusätzlich, dass die rechten Ratten wieder aus unserem Bundesparlament vertrieben werden.
Aber Wünsche alleine werden da nicht helfen, denn wenn wir etwas aus der Vergangenheit gelernt haben sollten: Geschenkt bekommen wir nix, auch keine gerechte Gesellschaft – und um Rosa Luxemburg am Ende zu zitieren: Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht!
Deshalb lasst uns dafür gemeinsam heute und an vielen kommenden Tagen mit Abstand aber mit Anstand und aller Entschlossenheit bewegen und unsere Themen auf die Straße bringen!
Danke für eure Aufmerksamkeit!
Anne Sandner, Münster, 3.4.2021