Deutsche Friedensgesellschaft Münster


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Die russische Sichtweise – Rede von Gerhard Schepper am 21.06.2021 vor dem Stalingrad-Denkmal in Münster zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion

Ich gehöre der Generation an, deren Väter den Zweiten Weltkrieg verbrochen haben, deren Väter in Hitlers Wehrmacht kämpften, deren Väter unermessliches Leid über die Völker Europas und ganz besonders über die Bewohner der Sowjetunion gebracht haben. Da unsere Väter ihre Untaten nie wirklich aufgearbeitet haben, nie zu einer wirklichen Aussöhnung mit den Opfern und den Nachfahren der Opfer gekommen sind, ist es unsere Aufgabe, die Aufgabe der Söhne, Töchter und Enkel, zu einer wirklichen Völkerverständigung beizutragen und dafür zu sorgen, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgeht.

Diese Aufgabe wurde mir so richtig bewusst, als ich vor einigen Jahren die Orte in Russland bereiste, in denen mein Vater als Wehrmachtssoldat kämpfte. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muss man die Sichtweise der Anderen kennen und ernst nehmen. Darum geht es mir hier und heute, am 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion: Die Sichtweise der Anderen, der Russen, aufzuzeigen und darzulegen, dass diese Sichtweise ihre Gründe hat.

Mein Vater war Soldat im Zweiten Weltkrieg, vom ersten bis zum letzten Tag, wie er immer betonte. Er war zunächst in Frankreich, dann in Jugoslawien und dann in der Sowjetunion. Er war einer von über 3 Mio. Soldaten, die am 22. Juni 1941 in die Sowjetunion einfielen. In wenigen Wochen stand er mit seiner Einheit in Kiew. Dann ging es weiter ins Donezbecken, Rostow am Don, das Kubangebiet und Noworossijsk. Sie sollten die Ölfelder von Baku erobern, aber am Kaukasus war Schluss. Da sind sie auf so hartnäckigen Widerstand gestoßen, dass der Blitzkrieg stockte. In Noworossijsk wurde er auch verwundet und lag einige Wochen im Lazarett in Gorjatschi Kljutsch. Danach ging es nur noch zurück, über die Straße von Kertsch auf die Krim und dann zurück nach Deutschland.

Mein Vater erzählte viele Jahre wenig über seine Erlebnisse. Wir wussten nur, dass der Krieg insgesamt „nicht schön“ gewesen war, er „Gott sei Dank“ von den Amerikanern gefangen genommen wurde und nicht den Russen in die Hände gefallen sei.

Dann kam die Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei. Es muss der 21. August 1968 gewesen sein, als mein Vater in panischer Eile aufs Feld gefahren kam. „Die Russen kommen“, stieß er hervor, „sofort nach Hause! Wir müssen uns in Sicherheit bringen. Wenn die mit uns machen, was wir mit ihnen gemacht haben, dann Gnade uns Gott.“ Meine Mutter und wir Kinder mussten die Feldarbeit abbrechen und zurück auf den Hof fahren. Das war eine groteske Situation, die tschechische Grenze war 400 km entfernt und die Russen machten keine Anstalten, in Deutschland einzumarschieren. Aber da brachen sich Erinnerungen Bahn, die er jahrelang verdrängt hatte. Ich war damals 14 Jahre alt und mir schwante, dass in Russland ungeheuerliche Dinge passiert sein mussten.

Als ich dann selber nach und nach mehr über den Russlandfeldzug, wie er den Krieg im Osten nannte, erfuhr, und ihn mit dem Vorwurf, an einem Vernichtungskrieg mitgemacht zu haben, konfrontierte, schob er alles auf die SS. Die Wehrmacht sei sauber geblieben, das war lange seine Antwort. Erst im hohen Alter gestand er ein, dass die Wehrmacht in die Verbrechen verstrickt war. Er erzählte von einem jungen Mädchen, das vor ihrer Erschießung noch ein Treuegelübte auf ihr Land abgelegt habe, von aufgegriffenen versprengten jungen Rotarmisten, die willkürlich und von Politkommissaren, die gezielt liquidiert wurden. Und auf dem Rückzug hätten sie Befehl gehabt, sämtliche Lebensgrundlagen zu zerstören, Häuser, Brücken, Eisenbahnlinien, Felder und auch das Vieh, was ihm als Bauernsohn besonders weh tat. „Es war nicht richtig, was wir in Russland getan haben“, sagte er, „aber wie soll man so etwas wieder gut machen?“ Diese Worte kamen aber erst spät über seine Lippen, er ging damals schon auf die 90 zu. Ich empfand es als eine Aufforderung, dieser Frage nachzugehen.

Sein Eingeständnis und seine Frage treiben mich seitdem um. Vor drei Jahren schließlich, sieben Jahre nach seinem Tod, begab ich mich auf seine Spuren. Ich wollte wissen, wie die Gegend und die Menschen aussehen, die er bekämpft hatte. Und ich wollte wissen, wie die Menschen heute darüber denken.

Zu zweit – meine Frau Ursula Münsterjohann begleitete mich – flogen wir nach Wolgograd, mieteten ein Auto und bereisten das Kubangebiet. Wir besuchten alle Stätten und Orte, an die sich mein Vater hatte erinnern können, fuhren über die neu gebaute Brücke auf die Krim – er hatte noch mit einem Schiff übersetzen müssen – und verbrachten eine Woche in Wolgograd. In diese Stadt, damals Stalingrad genannt, hatte es mein Vater allerdings nicht mehr geschafft. Sie hatten zwar Befehl, der 6. Armee zu Hilfe zu kommen, aber die Rote Armee war zu stark und der eigene Treibstoff zu knapp.

Für uns der erste Eindruck: Ein weites Land. Man kann kilometerweit fahren, ohne eine Siedlung zu sehen. Auf den Feldern im Kubangebiet Sonnenblumen wo man hinschaut. Ganz so, wie dies mein Vater beschrieben hatte. Sonst aber erinnert nichts mehr an seine Erzählungen. Keine Lehmhütten, keine Schlammpisten, keine in Lumpen bekleidete Menschen. Häuser, Straßen und Outfit der Menschen sind europäischer Standard, und die Gegend gehört ja auch zu Europa, das wurde uns so richtig erst auf dieser Reise klar. Der höchste Berg Europas, der Elbrus, befindet sich hier. Die Menschen sind gut gekleidet, vor allem die jungen Frauen, das Mobilfunknetz extrem gut. Ein Glück, denn oftmals waren wir auf den Google Übersetzer angewiesen. Drei Tage lang hatten wir aber auch eine Dolmetscherin engagiert, was die Gespräche mit den Menschen vor Ort wesentlich erleichterte.

Das Zweite, was auffällt: Überall Monumente, Denkmäler und Gedenksteine zum Zweiten Weltkrieg bzw. zum Großen Vaterländischen Krieg, wie die Russen ihn nennen. In jeder Stadt, in jedem Dorf, manchmal sogar an Kreuzungen in unbewohnten Gegenden. Aber nicht nur optisch ist der letzte Krieg noch präsent, auch in den Köpfen. So brauchten wir nicht lange darum herum reden, wenn wir nach der Vergangenheit fragten. Die Antworten kamen prompt und hatten fast immer einen Bezug zur Gegenwart. Was wir immer wieder hörten war in etwas dies: „Wir hassen euch nicht mehr für das, was ihr uns angetan habt. Aber warum hasst ihr uns immer noch? Warum stehen deutsche Panzer schon wieder an unserer Grenze?“ Und wenn wir uns verteidigten, das heutige Deutschland sei doch nicht mehr Nazi-Deutschland, entgegneten sie:. „Nein, ihr seid keine Nazis mehr. Aber wir ziehen uns zurück, und die Nato breitet sich aus. Wir haben euch noch nie angegriffen, aber ihr habt uns schon mehrfach überfallen. Und das letzte Mal war fürchterlich. Und jetzt steht ihr schon wieder an unserer Grenze. Warum?“ Da hörten wir immer auch Angst heraus, Angst vor den Deutschen und Angst vor der Nato. Angst vor den Deutschen? Das verblüffte uns zunächst. Aber nach und nach wurde uns klar, dass diese Angst der Menschen auf realen Erfahrungen aus der Geschichte beruhen.

Das unermessliche Leid des Krieges ist ihnen immer noch in Erinnerung: Über 27 Millionen Tote, über die Hälfte davon Zivilisten. Die Nazis hatten Befehl erteilt, in den besetzten Gebieten wöchentlich (!) 140 000 Zivilisten zu erschießen, vor allem Frauen im gebärfähigen Alter, aber auch Männer und Kinder, weil man Lebensraum schaffen wollte für die Ansiedlung von Deutschen. In Berlin, im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors ist dokumentiert, dass die Kommandeure der Wehrmacht sich schon nach wenigen Wochen weigerten, derart viele Erschießungen durchführen zu lassen. Warum? Nicht etwa aus humanitären Gründen, sondern weil dies erhebliche Auswirkungen auf die Kampfmoral der Truppe habe. Den Soldaten schlug es schwer aufs Gemüt, wehrlose Zivilisten in die ausgehobenen Gruben schießen zu müssen. Daraufhin bekamen Polizisten aus dem Reichsgebiet Sonderurlaub, sie wurden eingeflogen und hatten nichts anderes zu tun, als die Massenerschießungen durchzuführen. Für diese Verbrechen gibt es nur ein Wort: Völkermord! Es gab in den besetzten Gebieten praktisch keine Familie, die nicht Tote zu beklagen hatte.

Gelitten haben sie aber auch an den unermesslich großen Anstrengungen zur Verteidigung ihres Landes. Sicher, so manche Heldentat der Roten Armee wurde von Stalin mit Gewalt erzwungen. Aber wenn diese stalinsche Gewalt nicht gewesen wäre, wer weiß, ob sie dann den Krieg gewonnen hätten, sagen sie. Deshalb sei es müßig, heute darüber zu spekulieren. Sie sehen Stalin mit anderen Augen, sie verehren ihn nicht mehr, aber sie verdammen ihn auch nicht.

Und nach 1945 hätte Westdeutschland alle Friedensinitiativen der Sowjetunion blockiert, sagen sie. Auch die ausgestreckten Hände Gorbatschows und Putins seien ausgeschlagen worden. Beide hätten eine Sicherheitspartnerschaft vorgeschlagen, auch eine militärische. Warum sei das abgelehnt worden, fragen sie? Gorbatschow habe im Haus Europa für alle einen Platz haben wollen und auch Putin habe im Deutschen Bundestag eine gleichberechtigte kooperative europäische Zusammenarbeit angeboten. Warum ist die deutsche Regierung dagegen? „Wir können tun und lassen, was wir wollen“, sagen sie, „ihr stellt euch immer gegen uns“.

Putin – ob er nicht ein Autokrat sei, fragen wir? Er sei mit einer deutlichen Mehrheit gewählt worden, sagen sie, und er habe den Ausverkauf des Landes gestoppt. Die Annexion der Krim? Von Annexion könne keine Rede sein, denn sowohl das Parlament als auch die Bewohner der Krim hätten in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit entschieden, zur russischen Föderation gehören zu wollen. Völkerrechtswidrig? Es gebe im Völkerrecht das Selbstbestimmungsrecht der Völker und überhaupt sei die Krim schon immer russisch gewesen, in Zeiten der Sowjetunion nur zum Verwaltungsgebiet der Ukraine gekommen durch die zweifelhafte Entscheidung eines Einzelnen, Nikita Chruschtschow. Damals habe das keine Rolle gespielt, da ja alles zur Sowjetunion gehört habe.

Wir fahren auf die Krim und werden dort mit den gleichen Ansichten konfrontiert. 60 Prozent der Bewohner sind Russen, 25 % Ukrainer und 5 % Krimtataren. Wen wir auch fragen, alle begrüßen sie den Anschluss an die russische Föderation. Einleuchtend erklärt uns dies ein Ehepaar aus Belgien, das seit Jahrzehnten auf der Krim lebt. „Wir kennen niemanden, der zur Ukraine zurück will, selbst unter dem ukrainisch sprechenden Teil der Bevölkerung nicht“, sagen sie. Die Ukraine sei schon wirtschaftlich nicht in der Lage, ein funktionierendes Leben auf der Krim aufrecht zu erhalten. Oftmals habe es Wasser– und Stromausfälle gegeben. Seitdem sich Russland kümmere, werde gewaltig investiert. Aber auch von der Kultur gehöre die Krim zu Russland, sagen die Belgier, und zählen die Namen der russischen Schriftsteller auf, die sich mit der Krim verbunden fühlten: Puschkin, Tolstoi, Tschechow, Gorki.

Die Investitionen sind sichtbar, überall Baustellen. Vor allem neue Straßen und Bahntrassen werden gebaut, aber auch Umspannwerke und Anlagen zur Wasserversorgung. Wir fahren an der Südküste entlang über neue Straßen und alte Serpentinen, kommen manchmal zügig voran und stehen dann wieder stundenlang im Stau. Autos aus Russland schlängeln sich zu den Badeorten. International sind nur die Baumaschinen – trotz Sanktionen. In Jalta bewundern wir das überlebensgroße Bronzedenkmal mit Churchill, Roosevelt und Stalin vor dem Liwadija-Palast. Der schöne Ort und der beeindruckende Park mag den Sowjets damals geholfen haben, dass die Konferenz von Jalta Ergebnisse hervorbrachte, an denen unsere Gesprächspartner am liebsten heute noch festhalten würden. Die Vereinbarungen seien aber vom Westen revidiert worden. „Wir waren damals Alliierte und wurden dann zu Gegnern“, sagen sie, „und das lag nicht an uns.“

Verbitterung ist vielleicht das Wort, was die Grundhaltung der Menschen in Russland den Deutschen gegenüber am ehesten trifft. Verbitterung mit einem kleinen Funken Hoffnung. Diese Haltung begegnet uns schließlich auch in Wolgograd (von 1925 bis 1961 Stalingrad).

Wir besuchen den Mamajew-Hügel und staunen über die große Zahl der Besucher an einem gewöhnlichen Werktag, darunter viele junge Leute. „Hier kommen alle her, Eltern mit ihren Kindern, Großeltern mit ihren Enkeln, Liebespaare und selbst Hochzeitsgesellschaften“, erklärt unsere Dolmetscherin. „Die Erinnerung an den Sieg über den Faschismus und an die Toten der eigenen Familie ist so etwas wie ein kollektives Gedächtnis, es gehört zu unserer nationalen Identität“.

Das Mahnmal ist großzügig angelegt, um viele Menschen auf einmal aufnehmen zu können. Auf der Spitze des damals umkämpften Hügels, weit sichtbar über der Stadt, die 85 m hohe Statue „Mutter Heimat ruft“, eine Frau mit erhobenem Schwert, die mit weit geöffnetem Mund die Söhne des Landes zur Verteidigung ruft. Auf halber Höhe die Ehrenhalle für die gefallenen Verteidiger Stalingrads, fast eine Million Soldaten und Zivilisten. Ganz unten, am Beginn der breiten Treppenstufen ist eine Inschrift in Stein gehauen mit folgendem Text: „Es werden Jahre und Jahrzehnte vergehen, neue Generationen werden geboren, sie werden hierher kommen mit Blumen, ihre Enkel und Urenkel mitbringen, die wiederum ihre Kinder mitnehmen. Hier werden sie stehen über die Vergangenheit nachdenkend, träumend über die Zukunft, und werden sich an die erinnern, die hier gefallen sind um das ewige Feuer des Lebens zu schützen.“ Unsere Dolmetscherin, die uns die Inschrift übersetzt hat, kann ihre Rührung nicht verbergen. Eine andere Erinnerungskultur als die der Deutschen.

Das wird deutlich, als wir den deutschen Soldatenfriedhof in Rossoschka westlich von Wolgograd besuchen. Wir gewinnen mit jedem Schritt durch die Gedenkstätte mehr den Eindruck, dass mit unserer Erinnerungskultur etwas nicht stimmt. Die Namen der fast 200 000 gefallenen und vermissten deutschen Soldaten in große Granitblöcke und Steinplatten gehauen, als gelte es, sie zu ehren. Das wirkt protzig-trotzig im Vergleich zu den eher bescheidenen Gräbern der Rotarmisten auf dem russischen Soldatenfriedhof, der seit kurzem in unmittelbarer Nähe angelegt wird. Die Inschriften geben keinen Hinweis, was hier passiert ist. Es soll ganz allgemein den Soldaten des zweiten Weltkrieges und der Opfer aller Kriege gedacht werden. Alle Toten sind also gleichermaßen Opfer, Täter gibt es nicht. Kein Schuldeingeständnis und keine Bitte um Verzeihung oder Versöhnung. „Der Sturm des Krieges“ hat die Dörfer zerstört, auf denen der Friedhof angelegt ist, steht da zu lesen, nicht die deutsche Wehrmacht. Und dann wird der Besucher aufgefordert, dafür zu sorgen, dass „ewiger Friede wird auf dieser Erde“. Ewiger Friede, kann es das nicht nur im Tode geben? Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass die Formulierung eine Flucht ist. Man verweigert das Naheliegende, was für einen dauerhaften Frieden notwendig wäre: Völkerverständigung, Sicherheitspartnerschaft und einen Friedensvertrag. Stattdessen flüchtet man sich ins Allgemein-Philosophische, in die Formulierung vom ewigen Frieden, wohl wissend, dass es den sowieso nicht geben kann.

Um Missverständnisse auszuschließen muss ich hier feststellen: Ich bin sehr dafür, sich der toten deutschen Soldaten zu erinnern, ihren Tod zu bedauern und für die Angehörigen auch zu betrauern. Aber diese Erinnerung kann nicht darin bestehen, sie wie Helden zu verehren. Sie waren keine Helden, sondern haben eine verbrecherische Armee unterstützt, waren also Täter, im besten Falle irregeleitete Täter. Eine Gedenkstätte für sie, die zudem mitten in dem Land steht, in dem die Verbrechen begangen wurden, muss zum Ausdruck bringen, was passiert ist und – das Wichtigste – muss Reue widerspiegeln. Nach dem, was die deutsche Wehrmacht in der Sowjetunion angerichtet hat, wäre dies für die deutsche Erinnerungskultur das wichtigste Wort: Reue.

Den Rest der Reise überlegen wir, wie diese Reue heute aussehen müsste. Genügt es, wie mein Vater zu sagen: „Es war nicht recht, was wir in Russland gemacht haben“? Oder müsste es mehr sein: Gewaltverzicht, ein Friedensvertrag und Reparationszahlungen für die vielen Zerstörungen, die vielen Toten und das unermessliche Leid, das den Menschen angetan wurde. Merkwürdigerweise spielte die Frage der Reparationen mit der Sowjetunion, und auch nach 1990 mit Russland, nie eine Rolle im Gegensatz zu Griechenland und Polen. Diese beiden Länder beharren bis heute darauf. Wir stellen die Frage mehrfach unseren Gesprächspartnern, bekommen aber keine erklärende Antwort. Am ehesten vielleicht die einer älteren Frau, die den Krieg noch miterlebt hat: „Wir haben uns immer auf die eigene Kraft verlassen“, sagte sie, „Reparationen ist wie betteln, das mag der Russe nicht“.

Ich bedaure, die Reise nicht früher gemacht und meinen Vater mitgenommen zu haben. Für ihn wäre es wichtig gewesen, sein Eingeständnis den Menschen dort mitzuteilen und diesen hätte es gut getan, es zu hören. Dann was uns als tiefsten Eindruck in Erinnerung blieb, war der oft gehörte Satz, den ich bereits zitierte: „Wir hassen euch nicht mehr für das, was ihr uns angetan habt. Aber warum seid ihr uns immer noch feindlich gesonnen?“

Seit dieser Reise merke ich, wie dauerhaft und wie subtil diese feindliche Haltung ist. Unaufhörlich werden von Politikern und Medien die russlandkritischen und russlandfeindlichen Sichtweisen heruntergebetet ohne die Gegenseite darzustellen. Dabei besteht die Kunst der Diplomatie doch gerade darin, sich auch in die Position des anderen zu versetzen. Und wenn Russlandkenner, wie etwa die langjährige Russland-Korrespondentin Krone-Schmalz, mit ausführlichen Recherchen dagegen halten, werden sie kurzerhand auf den Index gesetzt, werden sie als Russlandversteher beschimpft und verschwinden aus der Öffentlichkeit. Das hat Methode. Hat sich da eine Russlandfeindlichkeit aus dem Nationalsozialismus hinübergerettet in die Bundesrepublik?

Wenn man unsere Erinnerungskultur betrachtet, könnte man dies glauben. Dieses Schandmal, vor dem wir stehen, ist das beste Beispiel dafür. Da werden die gefallenen Wehrmachtsoldaten der 16. Panzerdivision und der 16. Infanterie-Division geehrt, die mordend und brandschatzend durch Russland zogen, die Ermordung der Juden und die Dezimierung der Zivilbevölkerung militärisch absicherten bis sie schließlich in Stalingrad gestoppt werden konnten. Aufgestellt wurde das Ehrenmal von einem Kameradschaftsbund ehemaliger Stalingrad-Kämpfer, darunter auch die HIAG, also ehemalige SS-Mitglieder. (HIAG= Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der Waffen-SS e.V.)

Und wie kamen sie an das Grundstück? Die Stadt Münster stellte es kostenlos zur Verfügung. Damals gab es noch genübend Nazis und SS-Angehörige, die diese Entscheidung absicherten. Heute sieht es im Rat der Stadt ja etwas anders aus. Deshalb wäre es an der Zeit, dass die Stadt sich korrigiert. Morgen wäre eine gute Gelegenheit dazu, morgen, am 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion.

Es geht aber um mehr als um einen symbolischen Akt. Nehmen wir diesen Tag zum Anlass, unsere Erinnerungskultur zu überdenken, unser Verhältnis gegenüber Russland zu überdenken. Wer dauerhaften Frieden will, wer Völkerverständigung will, muss zuallererst die Sichtweisen von beiden Seiten in Betracht ziehen. Münsters Rathaus zeigt den Weg: „Audiatur et altera pars“, hängt im Friedenssaal des historischen Rathauses in Holz geschnitzt. Man höre beide Seiten.

Zuhören und die Sichtweisen der Anderen ernst nehmen ist aber nur der erste Schritt einer Erinnerungskultur, wie wir sie heute brauchen. Der zweite Schritt ist ein Schuldeingeständnis. Warum fiel es der Generation unserer Väter so schwer, ihre Verbrechen zu benennen? War die Schuld vielleicht zu groß? Was wäre da alles hoch gekommen, wenn sie den Opfern in Reue begegnet wären! Das war zu viel für sie. Da war es doch wesentlich einfacher, beim Feindbild der russischen Gefahr zu bleiben und die eigenen Untaten zu verdrängen. Damit hat die Generation unserer Väter aber uns eine Aufgabe hinterlassen, der wir uns stellen müssen.

Fast 120 Jahre hat es gedauert, bis Deutschland seinen Völkermord an den Herero und Nama anerkannt hat. So lange sollte die Aufarbeitung der Massenmorde in Russland nicht warten müssen.

Und damit bin ich zum Schluss wieder am Anfang meiner Rede: Es ist die Aufgabe von uns, den Söhnen, Töchtern und Enkeln der damaligen Täter, diese Aufgabe anzugehen, zur Völkerverständigung beizutragen und dafür Sorge zu tragen, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgeht.


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PM „80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion – Perspektivenwechsel zu Weltkrieg und Kolonialismus notwendig!“

Anlässlich des 80. Jahrestages des Überfalls der Wehrmacht auf die Sowjetunion (22.6.1941) veranstalten die münsterschen Gruppen die Friedenskooperative (FRIKO), Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), der Arbeitskreis Afrika (AKAFRIK), pax christi, VVN-BdA u.a. am Mo. 21. Juni von 16:30 bis 20 Uhr eine Demonstration mit Kundgebungen, Musikbeiträgen und Lesungen. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.

Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 und die deutschen kolonialistischen Verbrechen sind 2 Seiten ein und derselben Medaille!

Alle Aktionen sind angemeldet:
Kundgebungen/Demozug in Münsters Innenstadt. Wir starten am Traindenkmal (Ludgeriplatz/Promenade) ab 16.30 Uhr mit Musik und Lesung, dann ab 17.00 Uhr mit der Auftaktkundgebung dort, um anlässlich des 80. Jahrestages des Überfalls auf den Zusammenhang (politisch/personell/ideologisch) von Kolonialismus und Faschismus in Deutschland hinzuweisen und den Perspektivenwechsel in dieser Hinsicht einzufordern. (Zu diesem Zweck soll ein erstes grobes Modell des umgebauten / aus seiner Position gebrachten Traindenkmals auf einem Fahrradanhänger mitgeführt werden, so dass alle Anwesenden unseren Vorschlag auch verstehen; das Konzept soll ja mit den Nachfahren der Opfer, die sich hier in Europa organisiert haben, entwickelt werden, so dass wir da natürlich nur sehr wenig bisher vorgeben. Die Original-AKAFRIK-Platte von 1984 werden wir ebenfalls präsentieren und erläutern, wie die evtl. mit in ein würdiges Mahnmal eingebaut werden könnte. Zu diesem Zwecke treffen sich alle, die daran mitbasteln wollen, und auch andere Demo-/Kundgebungsutensilien herstellen wollen, auf dem „Kommune-Hof“ ( 51°48’43“ N 7°44’25“ E ) in Drensteinfurt, Natorp 21, zwischen Albersloh und Drensteinfurt am Samstag, den 19.6.2021, ab 12.00 Uhr. Dort gibt es genügend Platz, Material und Werkzeug, um das alles herzustellen. Kontakt: Thomas Siepelmeyer 02501 964803, 0170 8987914). Redebeitrag: Thomas Siepelmeyer (AKAFRIK): „Der deutsche Völkermord in Namibia“.
Es geht dann ab ca. 17.45 Uhr mit einer Demo durch die Ludgeristr. weiter zum Rathaus, wo zu diesem Zeitpunkt alle Ratsfraktionen ihre Fraktionssitzungen zur Vorbereitung der Ratssitzung am 23.6. abhalten werden; hier werden sie um 18:00 Uhr in einer Rede noch mal aufgefordert, endlich die Steinzeugen des preußisch-deutschen Militarismus, des Faschismus, des Völkermordes und der Menschenvernichtung entlang der Promenade und an anderen Plätzen der Stadt zu entsorgen oder so umzuändern, dass sie ihre beherrschenden Stellungen verlieren und das Gedenken an die vielen Opfer die Oberhand gewinnt.
Um ca. 18:15 Uhr geht es weiter zum Stalingrad-Denkmal am Kalkmarkt an der Promenade (Parkplatz Münzstr. gegenüber der Jüdefelder Str.).
Um ca. 18.30 Uhr werden wir dann an diesem Stalingrad-Schandmal die Abschlusskundgebung starten, dazu wird zunächst einmal das Schandmal verhüllt, weil es ja eine Huldigung der Aggressoren des 22.6.1941 ist.

Hier wird Gerhard Schepper einen Beitrag halten: „Die russische Sicht ernst nehmen – Bericht über eine Reise nach Russland an Orte, wo mein Vater kämpfte. Wir brauchen eine andere Erinnerungskultur mit Russland / Sowjetunion“. Gerhard Schepper hat Orte in Russland besucht, in denen sein Vater als Wehrmachtssoldat kämpfte. Die Reise öffnete seinen Blick auf die russische Sichtweise. „Der tiefste Eindruck meiner Reise war der oft gehörte Satz: „Wir hassen euch nicht mehr für das, was ihr uns angetan habt. Aber warum seid ihr uns immer noch feindlich gesonnen?“, so Gerhard Schepper.

Hugo Elkemann (Friedenskooperative Münster) redet zum Thema: „Wie eine neue Erinnerungskultur aussehen muss“. Es wird weitere RednerInnen, Musikstücke, Lesungen und Diskussionsmöglichkeiten geben.

Wir werden auch vorstellen, wie wir das Stalingrad-Schandmal zerlegen und zerschreddern wollen und mit dem gebrochenen Sandsteinmaterial dann einen Weg um das neu zu gestaltene Namibia-Völkermord-Denkmal am Ludgeriplatz pflastern werden, um die Verbindung von Kolonialismus und faschistischer Vernichtungspolitik deutlich zu machen.

Weitere Programmpunkte sind noch offen, Vorschläge werden gerne entgegengenommen, an der Münzstr. wiederum natürlich Musik- bzw. evtl. literarische Vorträge; es kann hier ruhig ein bisschen länger (bis ca. 20 Uhr) dauern, wir werden Sitzplätze organisieren, so dass auf dem Parkplatz und (je nach Mitmachenden) evtl. darüber hinaus so etwas wie eine Begegnung inkl. Diskussion über das Thema stattfinden kann. Hier können auch Infotische etc. aufstellt werden.
Weitere Aktionen/Aktionsformen können gerne im Rahmen der gesamten Aktion durchgeführt werden; wir bitten nur darum, diese dem ja sehr traurigen Anlass entsprechend zu planen.

Flyer:
http://dfgvk.blog.muenster.org/2021/06/12/zum-80-jahrestag-des-ueberfalls-auf-die-sowjetunion-am-mo-21-6-di-22-6-21-waldfriede-rundgang-eugen-drewermann-vortrag-demo-kundgebungen-musik-lesungen-aktionen/

Deutsche Völkermorde
Am 22. Juni 2021 jährt sich der deutsche Überfall auf die Sowjetunion zum 80. Mal. Zur gleichen Zeit, in der wir dieses verbrecherischen Krieges, eines Vernichtungskrieges gedenken, hat die Bundesregierung den deutschen Völkermord vor über 100 Jahren an den Herero und Nama anerkannt. Das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Mit mehreren Veranstaltungen wollen wir der deutschen Völkermorde gedenken und zu einem Perspektivenwechsel und
einer neuen Erinnerungskultur beitragen.
Perspektivenwechsel
Am 22. Juni jährt sich zum 80. Mal der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion. Dieser Krieg und die anschließende Besatzung brachten unermessliche Gewalt und unendliches Leid über das Land. Im Zweiten Weltkrieg starben ca. 27 – 35 Millionen Bürger*innen der Sowjetunion, niemand hat wirklich alle Ermordeten auflisten können, Historiker*nnen entdecken noch heute immer neue Quellen, die die Opferliste vergrößern.
Der Sieg wurde von den Menschen der Sowjetunion teuer erkauft: in der relativ kleinen weißrussischen Sowjetrepublik z.B., dem heutigen Belarus, die als erste dem Überfall ausgesetzt war, machten die Deutschen fast 1.000 Dörfer und Städte dem Erdboden gleich. Mindestens 800.000 Einwohner*innen Leningrads (St.-Petersburg) verhungerten bei der bewusst zu diesem Zweck erfolgten Belagerung von 1941 – 44. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt war als Offizier der Wehrmacht für ein Jahr Teil dieses speziellen Mordkommandos vor der Stadt.
Im offiziellen Gedenken in Deutschland spielen diese Ereignisse allerdings keine sehr prominente Rolle. Das Leid bezogen und beziehen die Deutschen hauptsächlich auf sich selbst, als angebliche Opfer der militärischen Gegenwehr der überfallenen Staaten und Nationen.
Zur gleichen Zeit, in der wir dieses verbrecherischen Überfalls gedenken, hat die deutsche Regierung ein Abkommen mit Namibia abgeschlossen, in dem sie den Völkermord der Deutschen an den Ovaherero und Nama nach 113 Jahren endlich anerkennt. Die Bundesrepublik gab nun bekannt, die damaligen Praktiken eines „Rassenkriegs“ (race war) gegen die indigenen Völker Namibias als das zu bezeichnen, was es war: Völkermord, und über die nächsten 30 Jahre insgesamt 1,1 Milliarden Euro „an bestehende Hilfsprogramme zu zahlen.“ Diese Summe entspricht ungefähr dem Haushalt der Stadt Münster für ein einziges Jahr!
Für die Betroffenen eine Beleidigung
Das Abkommen, das aus bilateralen Verhandlungen zwischen der deutschen und der namibischen Regierung hervorgegangen ist, wird allerdings von vielen traditionellen Führern und Repräsentanten der betroffenen Gemeinden abgelehnt und als „Beleidigung“ bezeichnet – bei Lichte besehen eine zutreffende Einschätzung dieser raffinierten diskursiven Verwandlung von fortlaufenden Entwicklungshilfezahlungen in eine große versöhnliche Geste. Die Betroffenen sehen es als zusätzliche Beleidigung für die Jahrhunderte herablassende Haltung gegenüber Ungerechtigkeit und Degradierung der Menschen in Afrika. Der Versuch, die dunkle Vergangenheit in Bezug auf Namibia aufzuarbeiten, bleibt also halbherzig, aber immerhin, ein erster Schritt ist gemacht.
Verständigung mit Russland fehlt
Mit Deutschlands dunkler Vergangenheit in Osteuropa ist dieser erste Schritt noch nicht gemacht. Im Gegenteil, man hat den Eindruck, dass viele unserer Politiker daran arbeiten, bewusst oder unbewusst, die alten, von den Nazis übernommenen antirussischen Ressentiments zu reaktivieren. Eine Verständigung mit Russland fehlt. Ein dauerhafter Friede und Völkerverständigung kann aber nur gelingen, wenn die russischen Ängste ernst genommen werden.
Die Angst vor Deutschland hat seine Gründe
Als Deutsche müssen wir uns immer wieder klar machen, dass diese Ängste und Befürchtungen ihre Gründe haben. Die deutsche Nation wurde schon durch den Krieg gegen Frankreich 1870 chauvinistisch begründet. Ihre erste Aktion war die Unterstützung der französischen Reaktion bei der Niederschlagung der Pariser Kommune. Die Blutspur des deutschen Militarismus führte über den Völkermord in Afrika und die beiden Weltkriege zum Völkermord an den Juden und Jüdinnen Europas, den Sinti und Roma und den Menschen in den Gebieten der überfallenen Sowjetunion. Diese Kontinuität einer aufgezwungenen deutschen Identität lehnen wir ab, und stellen uns überall und immer auf die Seite der Opfer und ihrer Nachfahren.
Zu den Opfern des deutschen Militarismus gehören auch die ZwangsarbeiterInnen. Tausende Männer, Frauen und Kinder wurden nach Deutschland verschleppt – auch nach Münster. In Hiltrup befand sich das Zwangsarbeitslager „Waldfriede“, auf dem am Di. 22.06.21 um 16.00 Uhr ein Rundgang zum Gedenken an die ermordeten ZwangsarbeiterInnen in Hiltrup zwischen Kanal und Hiltrup Ost stattfindet.
Di. 22.06.21 um 19.00 Uhr: Eugen Drewermann: „Wege zum Frieden“ (Vortrag und Diskussion) in der Überwasserkirche.
VeranstalterInnen: Friedenskooperative Münster, Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Münster, Arbeitskreis Afrika Münster (AKAFRIK), pax christi Münster, Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) e.V. u.a.

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So. 6.6.21 12:00 Uhr Fahrraddemo ZUE, Albersloher Weg 450 in Münster-Gremmendorf

Die DFG-VK Münster und die Friedenskooperative Münster unterstützen den Aufruf zur Fahrraddemo am So. 6.6.21 in Münster, denn wir fordern: „Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge! Alle Kriege und Waffenexporte sofort stoppen! Frieden schaffen ohne Waffen!“

Aufruf:

„Ziel: Sicherer Hafen Münsterland! Brücken bauen! Hafen werden! Leben retten!“

Am 10.12.2012 hat die Europäische Union den Friedensnobelpreis erhalten – wenn das mal nicht eine Anerkennung für Jahrzehnte Frieden, Demokratie oder offene Grenzen ist.

Doch was ist er wert, wenn täglich in der EU Geflüchtete auf der Suche nach Schutz und Asyl bedroht, gewaltsam zurückgedrängt oder diskriminiert werden?

Was ist er wert, wenn unsere Regierung täglich wegschaut, Geschäfte mit Rüstungskonzernen abschließt und sich noch dafür feiert, wenn mal etwas über 1.000 Menschen aufgenommen werden?

Was ist er wert, wenn in den lokalen Sammelunterkünften Menschen eingesperrt werden, sich kaum privat bewegen dürfen, keine Privatsphäre haben und ständig mit der Angst leben müssen abgeschoben zu werden und wieder in die Situation zurückgeschickt werden, aus der sie geflohen sind?

Und was ist er wert, wenn sich Kommunen nicht mit Geflüchteten solidarisieren und deren Aufnahme verweigern?

Nichts ist er wert!

Daher heißt es raus auf die Straße zum Protest, denn im September sind Bundestagswahlen!!! Wir setzen uns dafür ein, dass endlich ein Richtungswechsel im Bund stattfindet, sich die Flüchtlings- und Migrationspolitik ändert und der/die zukünftige Innenminister*in nicht durch die CDU/CSU besetzt wird.

Wer organisiert den Protest?
Im Dezember 2020 haben sich Seebrücken aus dem Münsterland & Osnabrück, die Asylhilfe Haltern, die Friedensfreunde sowie Einzelpersonen aus Drensteinfurt miteinander vernetzt und wir haben uns Gedanken gemacht, wie wir die Thematik gemeinsam in den kleineren Gemeinden einbringen und die Menschen vor Ort erreichen können.

Dabei sind die Städte:
Ahaus, Gronau, Hörstel, Recke, Ibbenbüren, Osnabrück, Emsdetten, Lüdinghausen, Dülmen, Coesfeld, Nordkirchen, Rosendahl, Billerbeck, Nottuln, Haltern, Senden, Drensteinfurt, Oelde, Beelen, Warendorf, Telgte & Münster.

Wie wird protestiert?
Am ersten Juni-Wochenende wird im gesamten Münsterland & Osnabrück eine Fahrraddemo unter dem Motto „Ziel: Sicherer Hafen Münsterland! Brücken bauen! Hafen werden! Leben retten!“ stattfinden. Zudem werden wir in Orange, der Farbe der Seenotrettung, auftreten. Mit Fahnen, Rettungswesten, Bannern, Rede- und Musikbeiträgen setzen wir ein Zeichen für Menschenrechte an den europäischen Außengrenzen.

Unser Ziel?
Die Aktion stellt einen sichtbaren und lauten Protest gegen den politischen Kurs der Bundesregierung und der EU an den europäischen Außengrenzen dar. Sie setzt gleichzeitig auch ein Zeichen in den Kommunen, in welchen entsprechende Anträge sich zum sicheren Hafen zu erklären, bislang abgelehnt wurden.

Wann und wo wird in Münster protestiert?
Am 06.06.2021, um 12 Uhr wird die Demo an der Zentralen Unterbringungseinrichtung für Geflüchtete (ZUE), Albersloher Weg 450 in Münster-Gremmendorf starten. Von da aus fahren wir mit dem Fahrrad zum Schlossplatz, um auf die ankommenden Gruppen aus den Richtungen Lüdinghausen, Drensteinfurt, Emsdetten & Telgte zu treffen. Treffen am Schlossplatz ist um 14 Uhr. Dann fahren wir in Orange zusammen durch die Stadt zum Abschlussort Hafenplatz.

Zudem schützen wir uns vor parteipolitischer Vereinnahmung und bitten daher von eigenen Symbolen, Fahnen o.ä. auf unserer Fahrraddemo abzusehen.

Wir sehen uns am Demowochenende!

Solidarische Grüße!

Seebrücke Münster, Welcome Münster, Odak Kulturzentrum, Sea-Eye Münster“

Siehe den Flyer und die Infos unter: https://ms-alternativ.de/node/2224


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PM des AKAFRIK (Arbeitskreis Afrika) Münster zum Abkommen mit Namibia am 28.05.2021

Abkommen mit Namibia geschlossen –

Es hängt jetzt von den konkreten Schritten und einem Perspektivwechsel der deutschen Gesellschaft ab, ob die Anerkennung des Völkermords an den Nama und Herero wirklich einer neuen Qualität von Geschichtsbewußtsein den Weg bereitet.

Die Überschrift im SPIEGEL heute gibt uns die weitere Richtung an – wenn auch vielleicht etwas unfreiwillig:

Herero und Nama:

Deutschland erkennt Kolonialverbrechen in Afrika als Völkermord an

Die Verbrechen der deutschen Kolonialherrschaft in den anderen afrikanischen Kolonien, Tansania, Kamerun und Togo, sowie in den Südsee- / asiatischen Kolonialgebieten stehen weiterhin auf der Tagesordnung, und wir sollten die Kampagne mit diesen (wenn auch noch unzureichenden) Ergebnissen im Rücken verstärkt weiterführen.

Ida Hofmann, die Vertreterin der Nama, hat heute morgen auf verschiedenen ARD-Radiostationen das Ergebnis kommentiert, sie hat betont, dass es ja nicht nur um die Zeit der direkten Kampfhandlungen geht, sondern auch um die Zeit danach, als Zwangsarbeit / Vernichtung durch Arbeit, Menschenversuche durch deutsche Kolonialmediziner (z.B. Hugo Bofinger) und Gefangenenschaft in den übers ganze Land verstreuten Konzentrations- und Arbeitslagern herrschten. Die gesamte Zeit der deutschen Kolonialherrschaft war vom Genozid bestimmt.

Männer und Frauen der Herero, Witbooi- und Bethanier-Nama, welche wieder gesundet waren, mussten genauso wie zur Zeit ihrer Inhaftierung auf der Haifischinsel Zwangsarbeit im Straßen-, Wege- und Bahnbau leisten, wo sie in unmenschlicher Art weiter ausgebeutet wurden. So sind von 2.014 Häftlingen aus dem Lager Haifischinsel zwischen Januar 1906 und Juni 1907 1.359 während des Baues der Südbahn zwischen Lüderitzbucht und Keetmanshoop (insgesamt eine Strecke von über 300 km) verstorben. Sie wurden meistens einfach rechts und links der Strecke im Dünensand verscharrt, wie auch beim Bau der Strecke von Swakopmund und im Norden an den vielen Orten, an denen Zwangsarbeit angewandt wurde. Wind und Regen legen viele dieser Orte und der dort verscharrten Überbleibsel im Laufe der Zeit frei. Um die würdevolle Bestattung dieser und der anderen namibischen Opfer der Kolonialzeit geht es mit diesem Antrag an den Volksbund.

Von Keetmanshoop ging die Eisenbahnlinie nach Norden nach Windhoek weiter, sie wurde bis 1912 vollendet.

Aus den Konzentrationslagern auf der Haifischinsel sind von Historikern grausamste Praktiken dokumentiert: Skelette und abgeschnittene Köpfe mussten mit heißem Wasser und Glasscherben von den Gefangenen selbst gesäubert und dann verpackt werden, für den Versand in die Reichshauptstadt Berlin.

Die grausame Vernichtungsstrategie ist gut dokumentiert. Aber auch andernorts – in den Territorien der aufständischen Nama, beim Bau der Eisenbahn von Windhoek an die Küste (ca. 350km) und in Bergwerken – starben die Einwohner des heutigen Namibia (Männer wie Frauen, wie viele Photos beweisen) unter den Deutschen grausame Tode. Sie wurden erschlagen von ihren Sklaventreibern, in weiteren deutschen Konzentrationslagern ausgehungert und dann von Krankheiten und Zwangsarbeit dahingerafft.

Viele HistorikerInnen argumentieren, dass Shark Island, als Konzentrationslager bezeichnet, ein Vernichtungs- und Todeslager war. Mit der Schließung der Konzentrationslager wurden alle überlebenden Herero als ArbeiterInnen für Siedler und Siedlerinnen in der deutschen Kolonie verteilt. Von diesem Zeitpunkt an waren alle Herero über sieben Jahre gezwungen, eine Metallscheibe mit der Arbeitsregistrierungsnummer zu tragen, und es war ihnen verboten, Land oder Vieh zu besitzen, eine Notwendigkeit für eine pastorale Gesellschaft.

In späteren Jahren der Kolonie begannen die Kolonialbehörden eine neue Gewaltkampagne. Dieses Mal richtete sie sich gegen die San-Gemeinden im Nordosten der Kolonie. Da die Siedler immer weiter nach Norden und Osten vordrangen, kam es zu einem unvermeidlichen Konflikt. Im Oktober 1911 erließ der Kolonialgouverneur Theodor Seitz ein allgemeines Dekret, wonach San legal auf Sicht erschossen werden könnten, vorausgesetzt, es gebe „den geringsten Versuch, sich der Verhaftung zu widersetzen“ oder „sie versuchen, die Verhaftung durch Flucht zu verhindern, wenn befohlen wird, sich zu ergeben“. Ähnlich wie bei General von Trothas berüchtigtem Vernichtungsbefehl handelte es sich um ein allgemeines Dekret mit ausreichend Interpretationsspielraum. In Wirklichkeit konnten die Beamten, Militärs oder Farmer, die mit der Suche nach Land und der Zerstörung von Siedlungen beauftragt waren, San nach Belieben töten.

Unsere Forderungen aus diesem Abkommen für Münster sind:

Alle Krieger- und Kolonialdenkmäler in Münster sind aus dem Denkmalschutz zu entlassen, da ansonsten keinerlei substantielle Veränderung an ihnen möglich ist. Das Traindenkmal muss niedergelegt werden, d.h. es muss massiv aus seiner jetzt beherrschenden Position gebracht werden und darf nicht mehr den Platz dominieren. Dann kann die AKAFRIK-Gedenktafel in ein neues Mahn-Ensemble eingebracht werden, dass v.a. in Zusammenarbeit mit den Nachfahren der Opfer des Genozids zu entwerfen ist. Und das auch nicht „zeitweise“, wie im Stadtratsbeschluß suggeriert, sondern für die absehbare Zukunft, d.h. bis neue Generationen evtl. ihre dann eigenen Vorstellungen zur Nutzung der Fläche umsetzen möchten.

Die Stadt Münster muss sichtbar und deutlich mit ihrer Vergangenheit brechen, auch mit ihrer Vergangenheit bzgl. der Diskussion um das Mahnmal und den Begriff „Völkermord“. Die Verantwortlichen für die Verschleppung der Diskussion und die Verhinderung von wegweisenden Entscheidungen seit 1982, seit die Diskussion um den Begriff „Völkermord“ auch hier vor Ort eröffnet wurde, müssen sich ihrer Verantwortung stellen.

Es steht in diesem Zusammenhang für Münster eine weitere, schon lange überfällige Entscheidung an: die Umbenennung der Universität (der Namensgeber ist der Verantwortliche sowohl für den Völkermord wie auch das Abschlachten im Boxer-Aufstand).


Mit freundlichen Grüßen / Best regards / Muy atentamente

Dipl. Geol. Thomas Siepelmeyer   AKAFRIK – Arbeitskreis Afrika Münster

(0049) 2501 964803
(0049) 170 8987914 (also whatsApp)


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Redebeitrag der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten)/ Münster am Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus (Sa. 8.5.21) am Zwinger in der Promenade von Münster, vorgetragen von Michael Bieber

In diesem Jahre 2021 jährt sich zum 80. Mal der Überfall von Nazi-Deutschland auf die damalige Sowjetunion. Der Überfall setzte die politische Speerspitze gegen das von den Nationalsozialisten als jüdisch-bolschewistische Untermenschentum bezeichnete Sowjetsystem und die „Volk ohne Raum“-Ideologie mit Waffengewalt um.

Auch in Münster wurden Kommandostäbe aufgestellt, die ganze Divisionen in den Krieg gen Osten schickten. Heute erinnern noch mehrere Kriegerdenkmäler in Münster an die Taten der deutschen Soldaten, die sich hier in Umkehrung der wahren Geschichte als Opfer stilisieren und so seit Jahrzehnten die Geschichte auf den Kopf stellen. Gemeint sind konkret das sogenannte Stalingrad-Denkmal an der Promenade/Ecke Kalkmarkt und das Denkmal für die Hammer-Division ausgerechnet auf dem Ehrenfeld der Opfer des Krieges auf Lauheide. Hier ist dringend Aufklärung und Beseitigung dieser schändlichen Ehrung der Täter des Krieges notwendig und so möchte ich heute mit zwei berühmten den Krieg überlebenden Zeitzeugen meine Ausführungen vertiefen. Zum einen den Bischof von Münster Graf von Galen, der in seiner Rolle als standhafter Kämpfer gegen die Euthanasie beispielhaft gewirkt hat, der aber zu den glühenden Verfechtern des Krieges gehörte.

„Der Krieg der 1919 durch einen erzwungenen Gewaltfrieden äußerlich beendet wurde, ist aufs neue ausgebrochen… Wiederum sind unsere Männer und Jungmänner zum großen Teil zu den Waffen gerufen und stehen in blutigem Kampf…. In dieser Gesinnung ist es uns selbstverständlich, daß wir die Entbehrungen der Kriegszeit willig und freudig gleich allen anderen Volksgenossen auf uns nehmen.“

(Rundschreiben von Galen 14.9.1939 zitiert nach Löffler, Mainz, Seite 747, Hervorhebung Michael Bieber)

Nachbarländer wie die Niederlande, Luxemburg, Belgien, Teile Frankreichs, Dänemark und Norwegen wurden von deutscher Wehrmacht besetzt, da lobt Galen im Juni 1940 „die Heldentaten und Erfolge unserer Soldaten“. Seine Unterstützung des Krieges hielt auch noch an als Nazi-Deutschland die Sowjetunion überfiel.

„… war für uns die Befreiung von einer ernsten Sorge und eine Erlösung von schwerem Druck, als der Führer und Reichskanzler am 23. Juni 1941 den im Jahre 1939 mit den bolschewistischen Machthabern abgeschlossenen sog. `Russenpakt` als erloschen erklärte… `Seit über zwei Jahrzehnten hat sich die jüdisch-bolschewistische Machthaberschaft von Moskau aus bemüht, nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa in Brand zu stecken…` (so zitiert Galen Hitler) und fährt fort „… Während also unsere tapferen Heere darum kämpfen, mit Gotttes Hilfe die militärisch-machtmäßige Herrschaft des Bolschewismus zurückzudrängen und hoffentlich zu ersticken…“ (Hirtenbrief 14.9.1941 – zitiert nach Löffler, Mainz, 1988, Seite 901- Hervorhebung Michael Bieber)

Soweit die fast vergessene militaristische Seite des Löwen von Münster.

Als zweiten Zeitzeugen möchte ich aus den Augen eines ehemaligen Sowjetsoldaten den gleichen Krieg beleuchten: Auszüge aus der Rede von Daniil Granin 2014 Bundestag

(Quelle der komplette Rede: https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/rede_granin-261326

„Meine Erinnerungen an die Blockade von Leningrad sind zugleich tragisch und grausam. Als der Krieg ausbrach, trat ich, ein frischgebackener Ingenieur, sofort in das Narodnoje opolotschenije, die Volkswehr, ein.

Die Verteidigung von Leningrad brach zusammen. Die deutschen Truppen hatten die Stadt komplett eingekesselt. Die Blockade kam unerwartet. Sie traf die Stadt unvorbereitet, in Leningrad gab es keine Vorräte, weder Nahrungsmittel noch Brennstoff.

Die Deutschen wussten ganz genau, wie es um die Stadt steht und wie sie unter dem furchtbaren Hunger leidet. Sie wussten es durch ihre Aufklärung und von Überläufern. Der Feind hätte einmarschieren können, aber er wusste, dass die Stadt und die Soldaten buchstäblich bis zum letzten Blutstropfen kämpfen werden.

Hitler sagte ständig, dass seine Truppen nicht in die Stadt vorrücken dürfen, weil die Straßenkämpfe zu verlustreich gewesen wären. Man meinte, dass die Leningrader bei dieser Ernährung nicht lange durchhalten und sich dann schon ergeben werden. Und sollte sie der Hunger dazu nicht zwingen, umso besser, dann verrecken sie und müssen nicht mehr durchgefüttert werden.

Eher zu niedrig angesetzten Berechnungen zufolge hat die Blockade über eine Million Opfer gefordert. Marschall Schukow spricht von 1.200.000 Hungertoten. Der Tod kam leise, mucksmäuschenstill, tagein und tagaus, Monat um Monat alle 900 Tage lang. Wie wollte man dem Hunger entgehen? Er griff sich seine Opfer in den Häusern, auf der Arbeit, in den eigenen vier Wänden der Menschen inmitten von Töpfen, Pfannen und Möbelstücken. Unvorstellbares diente als Nahrung. Man kratzte den Leim von den Tapeten und kochte Ledergürtel. … Man aß Katzen und Hunde. Und dann kam der Kannibalismus…

Ein Kind stirbt, gerade mal drei Jahre alt. Die Mutter legt den Leichnam in das Doppelfenster und schneidet jeden Tag ein Stückchen von ihm ab, um ihr zweites Kind, eine Tochter, zu ernähren. Und sie hat sie durchgebracht. Ich habe mit dieser Mutter und ihrer Tochter gesprochen. Die Tochter kannte die Einzelheiten nicht. Aber die Mutter wusste alles. Sie hat sich selbst gezwungen, nicht zu sterben und nicht wahnsinnig zu werden, weil sie ihre Tochter retten musste. Und gerettet hat.

Ab Juli 1942 haben wir versucht, den Blockadering zu durchbrechen, aber die Sturmangriffe brachten keinen Erfolg. Die Sinjawinskaja-Operation ging bis Ende Oktober. Sie blieb ergebnislos, und wir hatten 130.000 Mann verloren.

Nach dem Krieg stellte sich die Blockade von Leningrad für das ganze Land als eines der schlimmsten Kapitel in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs gegen die Deutschen dar. Schmählich für Deutschland und heldenhaft für Russland. Und letzten Endes gar nicht so sehr heldenhaft als vielmehr erstaunlich in seiner spirituellen Kraft.

Ich, der ich als Soldat an vorderster Front vor Leningrad gekämpft habe, konnte es den Deutschen sehr lange nicht verzeihen, dass sie 900 Tage lang Zivilisten vernichtet haben, und zwar auf die qualvollste und unmenschlichste Art und Weise getötet haben, indem sie den Krieg nicht mit der Waffe in der Hand führten, sondern für die Menschen in der Stadt Bedingungen schufen, unter denen man nicht überleben konnte. Sie vernichteten Menschen, die sich nicht zur Wehr setzen konnten. Das war Nazismus in seiner ehrlosesten Ausprägung, ohne Mitleid und Erbarmen und bereit, den russischen Menschen das Schlimmste anzutun. Heute sind diese bitteren Gefühle von damals nur noch Erinnerung.

1956, also elf Jahre später, kam ich nach Deutschland …

An den Wänden des Reichstags waren immer noch die Inschriften unserer Soldaten zu lesen. Eine davon ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: „Deutschland, wir sind zu dir gekommen, damit du nicht mehr zu uns kommst“. … Mir war klar, dass Hass ein Gefühl ist, das in eine Sackgasse führt. Hass hat keine Zukunft, er ist kontraproduktiv. Mir war klar, dass man vergeben können muss, aber auch nichts vergessen darf. … Vier Jahre an der Front haben mich gelehrt, dass jeder Krieg blutig und schmutzig ist. Aber die Erinnerung an die Millionen von Toten, an die zig Millionen unserer Soldaten ist notwendig. Ich habe erst vor kurzer Zeit beschlossen, über meinen Krieg zu schreiben. Warum? Weil fast alle meine Regimentskameraden und Freunde im Krieg geblieben sind, weil sie starben, ohne zu wissen, ob wir unser Land siegreich verteidigen werden können, ob Leningrad durchhält. Sie starben mit dem Gefühl der Niederlage. Es ist, als ob ich ihnen berichten will, dass wir schließlich doch gesiegt haben und sie ihr Leben nicht umsonst ließen.“

Auch auf der deutschen Seite gab es viele Opfer:

Ich möchte von einem 9jährigen Jungen in Königsberg – heute Kaliningrad – berichten. Er verabschiedete 1941 seinen „großen“ 19jährigen Bruder, der zur Wehrmacht einberufen wurde und schnell an die Front in Russland geschickt wurde. Viele Jahrzehnte später fragte mich ein weinender 80jähriger Mann, ob ich ihm helfen könnte, seinen „großen“ Bruder zu finden, er muss irgendwo zwischen Königsberg und Moskau gefallen sein.

Ich habe die Stelle gefunden – es ist ein Massengrab mit tausenden deutschen Soldaten. Der 80jährige hatte nun Gewissheit, wo sein Bruder begraben liegt – mehr konnte ich für meinen Vater an dieser Stelle nicht tun.

Nur eins:

Mich immer dafür einzusetzen, dass Hass, Rassismus und Krieg keine Mittel für die Zukunft sind, sie führen in die Sackgasse, deshalb stehe ich hier heute für die VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten).


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Pressemitteilung: „DFG-VK Münster ruft auf zur landesweiten Groß-Demo „Ukraine-Konflikt deeskalieren – Defender 2021 stoppen!“

Die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Münster ruft zusammen mit ihrem Landesverband, den Friedensfreunden Dülmen, Fridays for Future und vielen anderen Initiativen zur landesweiten Groß-Demonstration unter dem Motto „Ukraine-Konflikt deeskalieren – Defender 2021 stoppen!“ am 7. Mai in Dülmen auf. Um 14:45 Uhr sprechen Joachim Schramm (Geschäftsführer der DFG-VK NRW) und Kathrin Vogler (MdB, friedenspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE und DFG-VK-Mitglied) auf der Auftaktkundgebung am Charleville-Mézières-Platz (1000 m vom Bahnhof Dülmen). Anschließend findet die Demonstration zu dem US-Waffendepot Tower Barracks statt. „Das ist das einzige Lager in ganz Norddeutschland, das das Militärmanöver der USA und NATO „Defender 2021“ bis zur Ukraine mit Waffen versorgt, das Klima belastet und den Konflikt mit Russland eskaliert. Wir fordern eine Deeskalation des Ukraine-Konflikts, Beendigung aller Truppenbewegungen, Erneuerung des Waffenstillstandabkommens, Absage an die Forderungen der Ukraine nach NATO-Beitritt oder atomarer Bewaffnung, Verhandeln statt Drohen, sofortigen Stopp des Manövers, Ausstieg Deutschlands aus der Unterstützung und Beteiligung, Maßnahmen für eine neue Entspannungspolitik in Europa und Bildung eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems unter Einschluss Russlands“, so Jewgenij Arefiev, ehrenamtlicher Geschäftsführer und Sprecher der DFG-VK Münster. Der Demozug wird durch Livemusik von Fari Hadipour begleitet. Ab 16 Uhr sind eine Menschenkette und eine Blockade des Waffendepots geplant, wo Dr. Michael Stiels-Glenn (Sprecher der Friedensfreunde Dülmen, Mitglied der DFG-VK-Ortsgruppe Münster) und die Bundestagskandidatin Dr. Anne-Monika Spallek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN/GAL) sprechen werden. Die Teilnahme ist nur unter Corona-Auflagen möglich.


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PM: „Befreiung von dem Nationalsozialismus und seinen „Ehren“denkmälern. Den 8. Mai zum gesetzlichen Feiertag! Aufklärung durch die Radtouren am 8./9. Mai.“

Die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Münster und die Friedenskooperative Münster veranstalten am Wochenende 2 Radtouren mit Hugo Elkemann. Die 1. Radtour führt am Jahrestag der Befreiung vom Faschismus (8. Mai) von 14:00-16:30 Uhr zu den Kriegerdenkmälern an der Promenade. „Die Alliierten haben Deutschland vom Nationalsozialismus befreit, die Befreiung Münsters von den nationalsozialistischen Kriegerdenkmälern steht noch aus. Dafür leisten wir gerne Aufklärungsarbeit.“, so Sprecher der DFG-VK Münster Jewgenij Arefiev.

Die 2. Radtour führt am Jahrestag der Unterzeichnung der Kapitulation mit der Sowjetunion (9. Mai) von 13:00-17:30 Uhr zu den Gräbern der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter des Ehrenfriedhofes Handorf-Dorbaum auf dem Bundeswehr-Truppenübungsplatz und des Friedhofes Waldfrieden Lauheide. Der Zugang in Handorf ist stark eingeschränkt, musste beim Standortältesten der Bundeswehr Brigadegeneral Geilen beantragt werden, der die max. BesucherInnenzahl auf 25 Personen begrenzte. Während der Besuchszeit wird um den Ehrenfriedhof herum nicht geschossen, die Presse ist zugelassen, es darf fotografiert und gefilmt werden. Die friedenspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE Kathrin Vogler nimmt am Besuch teil. Um einen Platz für die Teilnahme in Handorf zu reservieren, wird um Anmeldung per Mail an muenster@dfg-vk.de oder Telefon (0251)14967080 gebeten. „Weder die Polizei noch die Bundeswehr bekommt von uns diese Daten, die Veranstaltungen sind polizeilich angemeldet, es werden nur die Daten des verantwortlichen Leiters weitergegeben.“, so Hugo Elkemann, Sprecher der Friedenskooperative.

Der Start von beiden Touren ist am Zwinger (Promenade).
Die Teilnahme ist kostenfrei, Spenden sind erwünscht.

Foto von Münster Tube: Kriegerdenkmälerradtour 2020. Start: am Zwinger (Promenade)


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Fr. 7.5.2021 14:45-17:00 Uhr: NRW-weite Demo: „Ukraine-Konflikt deeskalieren, Defender 2021 stoppen! Für Abrüstung und Entspannung!“

Wir rufen auf zur Demonstration unter dem Motto
„Ukraine Konflikt deeskalieren
– Defender 2021 stoppen! Für Abrüstung und Entspannung!“

am Freitag, den 7. Mai 2021 in Dülmen
vor dem US-Waffendepot „Tower Barracks“

14:45 Uhr: Auftaktkundgebung am Charleville-Mézières-Platz (1000 m v. Bahnhof Dülmen). Es sprechen: Kathrin Vogler (MdB, friedenspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die LINKE), Joachim Schramm (DFG-VK NRW),

anschließend Demonstration zu den Tower Barracks
ab 16 Uhr dort Menschenkette und eine halbstündige Blockade des Waffendepots. Dort spricht Michael Stiels-Glenn (Friedensfreunde Dülmen).

Anreise mit der Bahn:

RE 42 von Krefeld, Duisburg, Essen und Gelsenkirchen nach Dülmen bzw. von Münster nach Dülmen. (Achtung: Baustelle, ab Mülheim und Essen gibt es Ausweichempfehlungen:)

RB 54 von Dortmund nach Dülmen

Anreise mit dem PKW: Parkplätze gibt es an der Ludwig-Wiesmann-Str. , an der Ecke Kreuzweg/Münsterstr. und am Bahnhof.

Veranstalter: DFG-VK NRW mit Unterstützung der Friedensfreunde Dülmen  

Hier Aufruf zur Demonstration

Mehr Informationen, der Fußweg vom Bahnhof zum Auftaktort (Charleville-Mézières-Platz), die Demo-Route u.a. unter:

toppen“>https://nrw.dfg-vk.de/nrw-unsere-themen-eu-nato-nachrichtenleser/defender-2021-stoppen


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Unsere Radiosendung „Friedensarbeit in Münster“ beim Bürgerfunk/Antenne Münster vom 29.4.2021 ist Tipp der Woche!

Nach der Ausstrahlung der Sendungen sind diese im medienforum-webradio noch 4 Wochen anzuhören:
https://www.muenster.org/medienforum/webradio/sendungen-im-webradio-diesewoche,

ansonsten immer und weltweit auf der Medienplattform NRWision anzuhören: https://www.nrwision.de/mediathek/friedensarbeit-in-muenster-210428/
Dort sind auch weitere Sendungen des Bürgerfunks Münster und aus anderen Regionen von NRW zu finden.

Friedensarbeit in Münster

Sendung vom medienforum münster e.V.

„Defender-Europe 20“ ist eine Militärübung der NATO. Sie war eigentlich für 2020 geplant, wurde allerdings von der Corona-Pandemie ausgebremst. Hugo Elkemann von der „Friedenskooperative Münster“ erklärt, wie genau die Übung aussieht und was dahinter steckt. Jewgenij Arefiev von der „Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ spricht zudem über die „Tower-Barracks“ in Dülmen: In den Kasernengebäuden wird Militärausrüstung der US-Armee gelagert. Im Gespräch mit Klaus Blödow vom „medienforum münster e.V.“ (https://www.muenster.org/medienforum/aktuelles/friedensarbeit-in-muenster) geht es außerdem um die konkrete Friedensarbeit in Münster. Die Aktivisten erklären, welche friedenspolitischen Forderungen sie an den Rat der Stadt gestellt haben.

Bild: Jan Große-Nobis Osterfriedensradtour, Abschlusskundgebung vor der Manfred-von-Richthofen-Kaserne in Münster am Mo. 8.4.21
Bild: Jan Große-Nobis Osterfriedensradtour, Abschlusskundgebung vor der Manfred-von-Richthofen-Kaserne in Münster am Mo. 8.4.21


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Friedenspolitisch bedeutende Rede von Anne Sandner, Organisationssekretärin des DGB Münsterland am 1. Mai 2021 auf der Kundgebung „Solidarität ist Zukunft“ in der Stubengasse, Münster

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,


Solidarität ist Zukunft! Solidarität ein Begriff aus unserem gewerkschaftlichen Grundverständnis, was in letzter Zeit arg strapaziert und neu definiert wird: Solidarisch ist man in diesen Zeiten alleine.

Die Corona-Pandemie ist eine enorme Belastung für unsere Gesellschaft. Sie zeigt zum einen wie unter einem Brennglas, welche Ungerechtigkeiten und Probleme existieren, zum anderen verschärft sie viele Konflikte. Dabei sind es häufig die ohnehin Benachteiligten, die von der Krise und ihren Folgen mit der größten Härte und Wucht getroffen werden – Menschen in prekärer Beschäftigung, Menschen mit Behinderungen, Beschäftigte in der Altenpflege, Menschen mit Migrationsvorgeschichte, Kinder aus bildungsfernen Haushalten und Frauen, die wieder verstärkt in alte Rollenmuster gedrängt werden.

Es ist nachvollziehbar, wenn viele Menschen frustriert sind, Ängste und Sorgen haben und die Krisenpolitik der Bundesregierung kritisch hinterfragen. Kritik an der Krisenpolitik sollte aber dort eine Grenze haben, wo die Gesundheit und das Leben anderer gefährdet werden. Wer, wie es heute u.a. wieder am Aasee passiert, das Virus und seine Gefahren schlicht leugnet und für sich darauf pocht, sich an keine Regeln halten zu müssen, kritisiert nicht die staatliche Autorität, sondern ist rücksichtslos egoistisch. Niemand darf die Pandemie als Vorwand nehmen, um Demokratieverachtung, Verschwörungserzählungen, Antisemitismus und Hass Gehör zu verschaffen. Unter dem Deckmantel der Verteidigung von Grundrechten und Freiheit hat sich eine gefährliche Mischung aus Rechts-extremisten, Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern und Esoterikern zusammengefunden, um ihre Hetze zu verbreiten. Wer gemeinsam mit Rechtsradikalen auf die Straße geht, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren, verteidigt sie nicht, sondern greift sie an. Deshalb fühlt euch aufgefordert euch an den Gegenaktivitäten wie heute am Aasee oder in den nächsten Wochen immer wieder zu beteiligen. Diesen Gruppierungen überlassen wir in dieser Stadt keinen Meter! Heute ist unser Tag, Unser Tag der Arbeit! Heute geht unsere Botschaft von diesem Platz aus: Unsere Solidarität ist die Grundlage unserer Demokratie. Unsere Solidarität ist die Grundlage des Zusammenhalts in unserer vielfältigen Gesellschaft! Unsere Solidarität ist Zukunft!

Solidarität in einer Krise, wie dieser zu leben, heißt aber auch stärker miteinander zu sein und sensibler auf Ungleichheiten zu schauen. Die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen sind wie unter einem Brennglas hervorgetreten. Es sind insbesondere Frauen, die die Alten pflegen, die die Krankenhäuser reinigen, die an den Kassen sitzen, die Überstunden machen, die unfreiwillig in Teilzeit schuften. Sie können mit diesen Tätigkeiten nicht ins Homeoffice und tragen das höchste Risiko sich mit Corona anzustecken. Klatschen ist nett, reicht aber nicht! Frauen haben in diesen Zeiten bei geschlossenen Kitas, Schulen und Pflege notgedrungen die Betreuung übernommen, auf Kosten von Arbeit und Einkommen. Corona schleudert Familien mit Lichtgeschwindigkeit zurück in alte Rollenbilder. Es sind die Frauen, die dank unbezahlter Familienarbeit einkaufen, kochen putzen, pflegen und sich ums HomeSchooling kümmern und auf ihr Einkommen verzichten. Jetzt ist Zeit für bessere Arbeitsbedingungen, faire Löhne und für eine Umverteilung von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Familien- und Hausarbeit zwischen Männern und Frauen. Damit wir keine Rolle rückwärts machen und alte Rollenbilder zementieren, muss Gleichstellung ganz oben auf der Agenda stehen. Es müssen moderne Arbeitszeitmodelle her und die Verantwortung für die Familie muss solidarisch fair verteilt werden.


Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung waren wichtige Pfeiler um auch in Zeiten der Pandemie möglichst gute Arbeitsbedingungen und Absicherungen für die Beschäftigten zu schaffen. Aber Sozialpartnerschaft ist kein Kuschelkurs und in den laufenden Tarifauseinandersetzungen nutzte das Arbeitgeberlager die Krise für ihre Interessen: für Personalabbau, Verlagerungen, Lohndrückerei und Abschaffung erkämpfter Standards. Sie wollen mit langen Laufzeiten den Status Quo halten, die Krisenlasten auf die Beschäftigten abwälzen und alle fortschrittlichen Ideen mit überzogener Untergangsstimmung abwehren. Aber Nach der Pandemie ist Vor der Transformation. Digitalisierung, Globalisierung, Klimaschutz und den sozial ökologischen Umbau unserer Wirtschaft werden wir nur mit und nicht gegen die Beschäftigten erfolgreich meistern können. Hierfür ist Mitbestimmung eine wichtige Voraussetzung, denn nur ein mitbestimmtes Unternehmen ist auch ein nachhaltiges Unternehmen. Deshalb muss der Gesetzgeber die Attraktivität von Tarifverträgen unterstützen. Tarifflucht und Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung muss eingeschränkt werden, dafür brauchen wir die Fortgeltung von Tarifverträgen bei Ausgliederungen, die Erleichterung von Allgemeinverbindlichkeitserklärung, ein Bundestariftreuegesetz und die Stärkung betrieblicher Mitbestimmungsrechte, auch was das digitale Zugangsrecht für die Arbeitnehmerinnenvertretungen betrifft.

Solidarität ist Zukunft, auch in der digitalen Welt!

Wir in den Gewerkschaften haben uns jederzeit für eine solidarische Krisenpolitik eingesetzt, die die Folgen der Pandemie für alle abmildert und niemanden allein lässt. Die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf bis zu 87 Prozent, Kinderbonus, verlängertes Arbeitslosengeld sowie ein leichterer Zugang für diese Unterstützung, um nur einiges zu nennen —- milliardenschwere Konjunktur– und Investitionsprogramme.

Mit dieser solidarischen Unterstützung sichern wir Zukunft! Für den Moment wichtig und richtig, aber es wäre schön, wenn sie mit Bedingungen verknüpft und gerecht genutzt werden:

Wer seine Beschäftigten in Kurzarbeit schickt und gleichzeitig Gewinn generiert, die dann an als Rendite an die Aktionäre ausgeschüttet werden, handelt unmoralisch. Unmoralisch ist aber auch das System, dass genau dies rechtssicher zulässt. Die einen bekommen Geld ohne es an Bedingungen wie Beschäftigungsgarantien oder Investitionen in eine soziale und ökologische Transformation zu knüpfen, während andere sich in dieser Zeit für ihr Überleben Kredite ans Bein binden müssen, ohne überhaupt zu wissen, ob und wie es für sie nach der Krise weitergehen kann. Das ist nicht nur unmoralisch, sondern höchst ungerecht.

Umfragen zufolge halten 80% der Deutschen unser Wirtschaftssystem für sozial ungerecht. Über die Hälfte sind der Meinung, dass kleine Veränderungen nicht ausreichen, sondern die Wirtschaft umfassend reformiert werden muss. Im September dieses Jahres haben wir Bundesbürger die Gelegenheit mit unserem Wahlkreuz darüber zu entscheiden, für ein „Weiter so“ – kleine Verände-rungen oder einen Politikwechsel hin zu einer gerechten Gesellschaft.

Die Frage: Was ist eine gerechte Gesellschaft? sollte jede und jeder für sich selbst beantworten und wird dabei feststellen, dass die Antworten sehr umfassend und sicherlich nicht vollständig sein werden.

Was aber sicher ist: Wir sind in der falschen Richtung unterwegs. Eine seit 20 Jahren verschärfte neoliberale Politik der Privatisierung, Deregulierung, Umverteilung zu den Reichen, Ökonomisierung aller Lebensbereiche und dem Abbau des Sozialstaates hat viele Folgen: eine stärkere Ellenbogenmentalität; die Zunahme befristeter, schlecht bezahlter und unsicherer Jobs; Reallohnverluste; Renten, die zunehmend Armut bedeuten; Kumpanei der Regierung mit der Großindustrie; Explosion der Mieten; Weigerung von Regierung und Industrie die Klimakrise wirklich zu bekämpfen; Aufrüsten statt Abrüsten, Zweiklassenmedizin; auf Gewinn getrimmte Krankenhäuser, Pflegenotstand; Bildungsungerechtigkeiten, Sparpolitik zulasten der Infrastruktur und öffentlicher Aufgaben und und und.

Gleichzeitig sind wir auf dem Weg in eine Klimakatastrophe und Umweltzerstörung existenziellen Ausmaßes, als Folgen einer Wirtschafts- und Lebensweise, die Natur und Umwelt vorrangig als Ausbeutungsobjekt sieht und nicht als Le-bensgrundlage achtet.

Gerechtigkeit ist eine Verteilungsfrage, und die Frage Was Wie gerecht verteilt wird, wird sich eine Gesellschaft immer wieder neu stellen müssen. Auf einige dieser Bereiche werde ich im Folgenden eingehen, ohne alles und schon gar nicht im Detail beleuchten zu können:

Die Corona-Krise hat zu einem starken Anstieg der Staatsverschuldung geführt, was sich durch richtige und wichtige Rettungspakete, steigende Sozialausgaben und hohe Steuerausfälle leicht begründen lässt. Ein Umstand, der für einen Staatshaushalt nicht weiter tragisch ist, denn ein Staat ist nicht mit den Gedanken einen schwäbischen Haushalt zu führen – „spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ ist völliger Quatsch für einen Staatshaushalt, der zwar keine unsinnigen Ausgaben tätigen sollte, aber nicht sparen muss. Für den Staat gelten andere Regeln. Tragisch ist allerdings die Schuldenbremse, die ohne Not eingeführt wurde und den Staat in seinen Möglichkeiten absurderweise stark einschränkt. Diese Schuldenbremse ist zwar aktuell bis 2025 ausgesetzt, was aber bedeutet, dass sie uns dann mit aller Macht treffen wird. Ich muss auch nicht groß das Orakel befragen, um mir vorzustellen, welche Ausgabenstellen im Staatshaushalt es künftig an den Kragen gehen wird. Es wird „Arbeit und Soziales“ sein, bei dem gekürzt wird – auch hier ist Sparen das falsche Wort! Hier gilt es gemeinsam wachsam zu sein und den Abbau unseres schon jetzt arg gebeutelten Sozialstaats zu verhindern, bzw. noch besser ihn zukunftsfähig weiter zu entwickeln.

Der Kanzlerkandidat der CDU Armin Laschet hat direkt nach seiner Nominierung losgelegt. Er weicht bereits den Boden unserer Rentenversicherung auf, indem er mal wieder die Rente mit 70 in die Debatte einbringt, was ja eine faktische Rentenkürzung ist, da ja niemand bis 70 wirklich arbeiten kann.

Hier nebenbei bemerkt, wir reden seit dem Herbst letzten Jahres nur noch über Personen, Olaf Scholz, Baerbock oder Habeck, Söder oder Laschet. Dabei kann ich im September bei denen gar kein Kreuz machen. Ich wähle gar nicht das Gesicht, das mich demnächst von allen Laternenpfählen und Großplakaten anlächelt, sondern eine Partei, die mit ihrem Programm über die Zukunft unserer Gesellschaft entscheidet und dabei haben manche Parteien jetzt noch nicht mal ein Wahlprogramm..

Uns als abhängig Beschäftigten sollte aber wichtig sein, was im Wahlprogramm steht und da bitte ich euch, in den hoffentlich folgenden inhaltlichen Diskussionen in dem kommenden Sommer, auf folgende Punkte besonders zu achten: Rente, Gesundheit, Arbeitszeit, Frieden, Klima, Bildung, Wohnen und Steuerpolitik.

Rente:

Die Rente ist das, das alle abhängig Beschäftigten nach einem langen Arbeitsleben sehnsüchtig erwarten und hoffentlich lange genießen können.

Norbert Blüm hat mit seinem Satz: „Die Renten sich sicher“ bis heute viel Spott und Satire eingeheimst und damit letztendlich dafür gesorgt, dass heute ob Jung oder Alt meint verstanden zu haben, dass die Renten nicht sicher und schon gar nicht ausreichend sind und Jede und Jeder für sein persönliches Auskommen im Alter selbst zu sorgen hat. Doch in dieser Annahme sind zwei grundlegende Fehler:

Das Rentenkonto ist kein Sparbuch + politische Entscheidungen haben die Rente klein gemacht

Die deutsche Rentenversicherung existiert seit über 100 Jahren, hat 2 Weltkriege, eine Weltwirtschaftskrise und auch die Finanzkrise überstanden. Worin liegt das Geheimnis:

Abhängig Beschäftigte und deren Arbeitgeber zahlen einen bestimmten Betrag des Lohnes in diese Rentenkasse. Dieses Geld wird nicht in einer großen Geldkammer wie in Harry Potters Gringotts Zaubererbank gesammelt, sondern ist eine große Umverteilungsmaschine der aktuellen Einnahmen der Rentenbeiträge. Die jährliche Renteninformation verstärkt den Eindruck der Ansammlung eines persönlichen Schatzes, ist aber lediglich eine Information über den aktuellen Punktestand, dessen Wert den gesellschaftlichen Anforderungen angepasst wird. Das macht es einerseits krisensicher und andererseits abhängig von den politischen Entscheidungen.

Das oft gehörte Argument, dass die Rente so unsicher macht, weil zu viele Alte immer älter werden und wenige Junge immer mehr Alte bezahlen müssen, scheint einleuchtend, hinkt aber, denn es lässt den Faktor der Produktivitätssteigerung völlig außer Acht. Ohne diesen Bezugsfaktor wären wir statistisch z.B. schon längst verhungert, denn 1960 ernährte ein Landwirt 17 Menschen. Da gab es auch 2 Mio Betriebe, heute sind es gerade noch ca. 200.000 Betriebe und wir sind nicht verhungert. Übringens: Das Problem der zu vielen Alten und zu wenig Jungen, scheinen Anwälte, Apotheker, Architekten, Beamte und andere mit ihren eigenen Sicherungsystemen wohl nicht zu haben …

Um bei den Rentenzahlungen nicht in Zahlungsschwierigkeiten zu kommen, gibt es die gesetzliche Vorgabe, dass der Staat Geld in Höhe von 3 Rentenmonatszahlungen vorhalten muss. Eine ungeheure Geldmenge, die bei der deutschen Bank geparkt werden und für diese Anlage muss aktuell Strafzinsen gezahlt werden. Ja, wie bescheuert ist das denn?! Die Deutsche Bank kassiert Zinsen, kann obendrein mit dem Geld auf der Welt zocken gehen. Wenn sie auf die richtige Pferde setzt, wird die deutsche Bank gefeiert, wenn sie Gewinne in Millionenhöhe generiert und an die Aktionäre auszahlt. Wenn sie sich allerdings verzockt hat, wird die Bank mit Steuergeldern, da sie ja wirklich systemrelevant ist, gerettet.

Aus der Finanzkrise haben wir wohl nix gelernt, dabei ist Solidarität doch keine Einbahnstraße

Die riesigen Geldmengen aus der Rentenversicherung werden auch gerne vom Staat selber zweckentfremdet genutzt, egal, ob es für die Deutsche Einheit oder für die Folgen der Finanzkrise war. Zunächst nix gegen einzuwenden, perfide wird es nur dann, wenn hinterher über die leere Rentenkasse gejammert wird, dann die Renten gekürzt werden und dann zur privaten Vorsorge gezwungen wird. Diese können sich allerdings nur die leisten, die es gar nicht zwingend müssten. Also ein völlig unsinniges Instrument, um armutsfeste Renten zu garantieren.

Betrug das Rentenniveau 1978 noch knapp 60%, ist es heute bei ca: 47%, soll es bis 2040 auf 42 % sinken – eine politische Entscheidung, die aber nicht unveränderbar ist.

Unser Rentensystem kann aber durchaus ein paar weitere Änderungen vertragen. Alle Berufsgruppen/alle Erwerbstätigen und dabei meine ich wirklich alle, zahlen in das gesetzliche System ein und Jede und Jeder bekommt eine armutsfeste Grundrente. Es kann doch nicht sein, dass Menschen, die 40 Jahre für den Mindestlohn und knapp darüber gearbeitet haben, in die Sozialhilfe geschickt werden. Das ist keine Alterssicherung, sondern ein Armutszeugnis. Hier muss an 2 Stellen nachgesteuert werden: Der Mindestlohn ist zu niedrig, der Niedriglohnsektor gehört abgeschafft und die Löhne müssen steigen. Und wer meint, eine armutsfeste Rente haben nicht alle verdient, der muss sich der Frage stellen, ob eine Verkäuferin wirklich weniger Rente verdient hat, wie der Autobauer am Band des Automobilwerks, ist der Kollege/die Kollegin bei der Müllabfuhr weniger systemrelevant als der Finanzmakler bei deiner Hausbank. Ist die Reinigungskraft uns bei der Lohn- und Rentenhöhe wirklich gerade mal den Dreck wert, den sie jeden Tag von uns wegzuputzen hat?? Haben Frauen wirklich 20% weniger verdient als die Männer? Und um es hier deutlich zu sagen, nicht die einen sollen zur Gleichstellung weniger verdienen, sondern es geht um eine gerechte und gleichwertige Entlohnung auf dem höheren Niveau.

Hier kann die Gesellschaft ihre solidarische Gestaltungskraft zeigen und hier ist Solidarität Zukunft!

Homeoffice hat sich im letzten Jahr zum Shootingstar entwickelt. Es ist ein sehr taugliches Instrument zur Pandemiebekämpfung und hat sich aber inzwischen zum Synonym guter Arbeit im postindustriellen Kapitalismus entwickelt. Wissend, dass nicht alle diese Arbeitsformen in Anspruch nehmen können und es vor allem die höher qualifizierten und besserverdienenden sind, sollte auch noch kritisch diskutiert werden, ob diesem Arbeitsmodell die Zukunft gehören soll. Vermeidung von Pendelzeiten stellen auch jenseits der Pandemie einen verlockenden Gewinn an Lebenszeit dar, sowie die bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit und schont das Klima. Statt sich im Lärm von überfüllten Großraumbüros zu konzentrieren, eröffnet das Homeoffice die Chance auf Ungestörtheit und einen befristeten Ausbruch aus betrieblichen Hierarchien und Kontrollsystemen. Telearbeit hat diese Vorteile reguliert ermöglicht, während das Homeoffice/Mobiles Arbeiten kaum reguliert stattfindet. Das Home hat gar kein Office und findet am wackeligen Küchentisch neben Homeschooling und Kinderbetreuung statt. Ständige Erreichbarkeit, überlange Arbeitszeiten, unbezahlte Arbeit und verkürzte Ruhezeiten sind die anderen Seiten der Medaille. Arbeit kann so weiter ökonomisiert werden. Firmen können ihre Büroräume reduzieren. Die Grenze zwischen Arbeits- und Freizeit verwischt nun auch räumlich und kann sich als Probelauf für ein weiteres Outsourcing von Arbeitsplätzen erweisen, denn für das Homeoffice ist es egal, ob es sich im Nachbarort oder auf einem anderen Kontinent befindet. Betriebliche Sozialbeziehungen werden zersetzt. Homeoffice darf sich nicht zum Lückenbüßer für die fehlende Bringschuld der Gesellschaft in Sachen Sorgearbeit entwickeln. Homeoffice darf sich nicht als Zone eines fehlenden oder abgeschwächten Arbeitsschutzes etablieren. Hier gilt es dringend nachzusteuern, damit nicht auf diesem Wege der weiteren Individualisierung Tür und Tor geöffnet wird und die Alltagssolidarität durch gemeinsame Arbeit und geteilte Konflikterfahrung auf der Strecke bleibt, denn nur in

der Solidarität liegt unsere Zukunft!

Beschäftigte brauchen Arbeitszeiten, die zu ihrem Leben passen und nicht umgekehrt. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen mit Arbeitszeiten, die selbstbestimmt Freiräume ermöglichen und weniger Stress machen. In der Transformation unserer Wirtschaft in der wir gerade stecken, spielen Arbeitszeiten eine maßgebliche Rolle und dabei kann Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich ein Mittel sein, um Beschäftigung zu sichern.

Die Solidarische gerechte Verteilung der Arbeitszeit ist Zukunft!

Um eine zukünftige gerechte Gesellschaft gestalten zu können, brauchen wir Investitionen:

Investitionen für mehr Klimaschutz. Hier passiert zu wenig. Um unseren erhöhten Energiebedarf bezahlbar und erneuerbar zu schaffen, brauchen wir mehr dezentrale Energiequellen, aber auch mehr Phantasie beim Energiesparen. E-Mobilität kann eine Brückentechnologie sein, taugt aber aktuell nicht wirklich, um bei der globalen CO2-Bilanz durch die Produktion und Entsorgung der Batterien als Champion da zustehen. Unsere Erde ist nicht erneuerbar und der nicht zu verleugnende Klimawandel macht bestimmte Regionen dieser Erde bereits jetzt schon unbewohnbar. Menschen, die dann als Flüchtlinge nach einem neuen Lebensraum suchen müssen, werden an den Grenzen genauso abgewiesen wie die, die durch Hunger, Armut und Kriege nach einer neuen Heimat suchen. Auch hier versagen wir leider kläglich. Ein Europa lässt sich als Friedensnobelpreisträger feiern, gibt aber Unmengen von Geldern für Rüstungsgüter und für die Verhinderung von Flüchtlingszuwanderung aus. Das christliche Abendland sieht zu, wie das Mittelmeer zum Massengrab wird und in den Flüchtlingslagern rund ums Mittelmeer menschenunwürdige Zustände herrschen.

Hier ist mehr Solidarität gefragt!

Wir brauchen Investitionen für unsere lebenslange Bildung! Der Bildungserfolg darf nicht vom Geldbeutel und Herkunft der Eltern abhängig sein. Aber genau das wird uns seit Jahren in diversen Studien bescheinigt. Unser Bildungssystem muss endlich für mehr Chancengerechtigkeit sorgen. Schule sollte nicht verwertbare Arbeitskräfte produzieren, sondern sollte neben der Wissensvermittlung unseren Nachwuchs in seinen Begabungen fördern und helfen ihre Persönlichkeiten zu entwickeln. Hier kann die gerade vieldiskutierte Digitalisierung an den Schulen lediglich Mittel sein. Wenn alle Kinder ein Tablet und kostenloses WLAN zur Verfügung haben, so haben wir noch lange keine gleichen Bildungschancen. Wir brauchen flächendeckende Ganztagsschulen vor allem mit kleinen Klassen, in denen alle zusammen miteinander und voneinander lernen können.

Wir brauchen Investitionen für mehr Integration und Inklusion auf allen Ebenen!

Wir brauchen mehr Investitionen für bezahlbares Wohnen. Der Wohnraum dem Markt von Angebot und Nachfrage zu überlassen, hat sich als krasse Fehlentscheidung erwiesen. Der Staat hat sich von dieser Verpflichtung verabschiedet und Wohnraum konnte sich zum lukrativen Investitionsgut entwickeln. Mit teuren Singlewohnungen in den Metropolen lässt sich die größtmögliche Rendite erzielen, was dazu geführt hat, dass wir in diesem Segment genügend Wohnungen zur Verfügung haben. Woran es mangelt sind vom Lohn bezahlbare Wohnungen für Paare und Familien. Hier ist die öffentliche Hand verpflichtet mit dem Bau von Sozialwohnungen wieder diesen Bedarf zu decken. Dies ist zwar erkannt und wird getan, doch wird es dauern bis sich wesentlich etwas an der Situation verbessern wird. Ein bundesweiter Mietenstopp ist ein weiterer wichtiger Ansatz, wird aber nicht reichen. Wohnraum gehört zur Da-seinsvorsorge und damit in die Hand des Staates. Er darf nicht auf dem Altar des Marktes den Spekulanten geopfert werden. Denn für die ist Rendite Zukunft, während für uns Solidarität Zukunft ist!

Wir brauchen mehr Investitionen in einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst mit motivierten Beschäftigten – und zwar nicht nur in schlimmsten Krisenzeiten. Auch zur Gestaltung der Herausforderungen der Zukunft ist ein starker öffentlicher Dienst unerlässlich: Keine gute Bildung ohne ausreichend Erzieherinnen und Lehrkräfte. Keine Investitionen vor Ort ohne entsprechendes Personal für deren Planung und Durchführung. Kein wirksamer Arbeitsschutz ohne Kontrolleure.

Wir brauchen mehr Investitionen für ein solidarisches Europa mit fairer Mobilität und fairem Handel:
Mobile Beschäftigte sind nicht nur häufig Lohn- und Sozialdumping ausgesetzt. Ihre Unterbringung erfolgt unter menschenunwürdigen Bedingungen und sie arbeiten unter katastrophalen Arbeitsschutz- und Hygienebedingungen. Erntehelferinnen arbeiten hart, ohne Krankenversicherung und ohne Rentenansprüche.

Diese Beschäftigten brauchen unsere Solidarität!

Europa ist einer der Verlierer dieser Krise, die Grenzen sind an vielen Stellen wieder geschlossen. Das neoliberale Austeritätsregime agiert weiter und die Spaltung zwischen und innerhalb der Länder wird größer. Vielerorts regiert aktuell der »Not-Pragmatismus«. Kann dieser Krisenschock zu einer Umkehr für ein solidarisches Europa führen? Ökologische und soziale Nachhaltigkeit müssen zusammengedacht werden, denn der Kampf gegen den Klimawandel gelingt nur, wenn er den Menschen überall Perspektiven auf ein besseres Leben bietet. Immer wieder geschehen Menschenrechtsverletzungen bei der Herstellung der Güter, die wir tagtäglich verbrauchen. Fairer Handel und Nachhaltigkeit kann aber nicht immer nur auf die Verbraucher abgewälzt werden. Wir brauchen eine ordentliche Gesetzgebung, die vor allem die Unternehmen in die Pflicht nimmt und dadurch die Arbeitsbedingungen auf der ganzen Welt besser werden.

Denn Solidarität hört nicht an den Landesgrenzen auf!

Wir brauchen mehr Investitionen in unser Gesundheitssystem

Krankenhäuser sind keine Wirtschaftsunternehmen, sondern sind dafür gedacht Menschen in dieser Gesellschaft nach Möglichkeit gesund zu machen und sie nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft zu versorgen. Das darf einer reichen Gesellschaft wie der unseren auch ruhig etwas kosten. Wenn allerdings Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen von privaten Investoren geführt werden, liegt doch wohl auf der Hand, dass denen nicht die medizinische Grundversorgung, sondern deren private Kapitalvermehrung am Herzen liegt. Es wird das medizinisch getan, was am meisten Geld bringt, mit dem minimalsten Personalaufwand. Hier stehen weder die Menschen als Patienten noch als Beschäftigte im Mittelpunkt. Darum sollte es uns nicht wundern, dass diejenigen, die sich trotz allem für den Pflegeberuf entschieden haben, diesen im Durchschnitt nach 5 Jahren den Rücken kehren. Der Dienst auf den Intensivstationen ist auch ohne Corona kein Zuckerschlecken. Im Schichtdienst über die Flure zu hetzen, ständig aus dem Frei gerufen zu werden und immer mit dem Gefühl nach Hause zu gehen, nicht wirklich für den Menschen da gewesen zu sein, ist keine gute Arbeit. Zu Beginn der Corona-Pandemie waren wir froh, dass unser Ge-sundheitssystem allen Empfehlungen zum Trotz noch nicht so weit heruntergefahren zu haben. Es wurde viel geklatscht und einiges versprochen. Davon ist nicht viel übrig geblieben. Ganz im Gegenteil, die Caritas lehnte kürzlich sogar den Tarifvertrag in der Altenpflege ab, der kurzfristig für bessere Mindestarbeitsbedingungen in diesem Bereich sorgen sollte. Wir brauchen dringend bessere attraktivere Rahmenbedingungen für unser Pflege- und Gesundheitssystem, denn wenn neben einer guten Bezahlung, die Arbeit sinnstiftend und wertschätzend auf mehr Menschen verteilt wird, sind die einen sicherlich nicht nach 5 Jahren wieder weg und andere werden sich dann wieder gerne für diesen Beruf entscheiden.

Nun hör ich schon die Frage: Ja, das wäre ja alles schön, aber wer soll das bezahlen?

Großes Kürzungspotential wäre bei unserer Rüstung zu finden. Deutschland hat seine Militärausgaben auf mittlerweile knapp 45 Milliarden Euro erhöht, und nennt das Verteidigungshaushalt. Das selbst auferlegte 2%-Ziel der Nato ist damit aber immer noch nicht erreicht. Die 29 Nato-Mitglieder zusammen kommen auf die Hälfte der weltweiten Militärausgaben und werden nicht müde, das Feindbild Russland immer wieder zu befeuern und um China zu erweitern. Dabei ist es die Nato, die gerade mit deutscher Beteiligung an der ukrainischen Grenze beim sogenannten Defender-Manöver provozierend die Muskeln spielen lässt.

Auf der anderen Seite benötigen wir eine steuerpolitische Kehrtwende: Das Vermögen der deutschen Milliardäre, dass sich während der Corona-Krise sogar noch vermehren konnte, beträgt 500 Mrd. Euro. Das Vermögen hat sich seit der Jahrtausendwende nahezu verdoppelt und ist extrem ungleich verteilt. Die reichsten 10 % verfügen über 65 % und das reichste 1% sogar über mehr als 30% des Gesamtnettovermögens. Auf der anderen Seite haben 50 % der Haushalte kein Vermögen oder sogar Schulden. Die Zahl der sehr reichen Personen, die mehr als 40 Mio. € angesammelt haben, ist erheblich. Dafür müsste ein Durchschnittsverdiener 2.000 Jahre arbeiten, ohne in der Zeit auch nur einen Cent auszugeben.

Es ist offensichtlich: Geld ist zur Genüge vorhanden. Aber um dieses nutzen zu können brauchen wir ein grundlegend gerechteres Steuersystem. Steuern zahlen ist keine Strafe, sondern notwendig um unser Gemeinwesen zu finanzieren. Es ist abzulehnen, dass Menschen Steuern zahlen, die kaum Einkommen haben. Abhängig Beschäftigte und zunehmend auch die Rentnerinnen werden automatisch besteuert, ohne große Möglichkeiten auf diesen Beitrag Einfluss nehmen zu können. Währenddessen können sich Aktionäre mit einer lächerlich geringen Abgeltungssteuer von pauschal 25% und ungeachtet der Höhe ihrer Dividenden einen schlanken Fuß machen. In der öffentlichen Meinung ist Steuerhinterziehung ein Kavaliersdelikt. Dabei sind genau diejenigen, die dem Staat mit vollem Bewusstsein Geld vorenthalten, die wahren Schmarotzer unserer Gesellschaft! Aus dem „Land der Dichter und Denker ist ein Land der Stifter und Schenker“ (Zitat Butterwegge) geworden. Dies ist eine weitere Möglichkeit dem Staat Geld vorzuenthalten und persönlich zu entscheiden, welchem Zwecke das Geld zugeführt wird.

Seit mittlerweile über 25 Jahren verzichtet unser Staat darauf, die Vermögenssteuer wieder zu erheben. Die Erben von Unternehmensvermögen werden Jahr für Jahr mit sieben Milliarden € Steuerfreiheit für ihren leistungslos erworbenen Reichtum belohnt. Wenn überbordender Reichtum weder zum Wohle der Allgemeinheit noch in sinnvolle Investitionen fließt, sondern stattdessen ins Kasino der Finanzmärkte getragen wird, muss der Staat dafür sorgen, dass diese Transaktionen besteuert und dieses Geld für unsere Zukunft und zum Erhalt unserer Umwelt eingesetzt wird.

Jetzt in eine gerechte Gesellschaft zu investieren ist möglich und ist eine Frage der Solidarität zwischen Generationen, zwischen Stadt und Land und zwischen Arm und Reich.

Solidarität ist Zukunft! – Vielen Dank!